Belarus

Sjanon Pasnjak

Sjanon Pasnjak, geboren 1944

Zjanon Pas‘njak

Зянон Пазьняк

Kunsthistoriker, Autor illegaler Schriften, unabhängiger politischer Aktivist, führender Politiker der Belarussischen Volksfront.

Sjanon Pasnjak wurde 1944 in dem in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörenden Dorf Subotniki im Bezirk Grodno (Hrodna) geboren. Sein Großvater war Redakteur der in belarussischer Sprache erscheinenden christdemokratischen Zeitung „Krynica“. Nach dem sowjetischen Angriff auf Polen im September 1939 und der Eingliederung des heute westlichen Teils des Landes in die Belarussische SSR wurde er festgenommen und erschossen. Pasnjaks Vater fiel 1944 als Soldat der Roten Armee.

1967 schloss Pasnjak sein Studium der Theaterwissenschaft an der Fakultät für Kunstgeschichte des Minsker Instituts für Theater und Kunst ab. Er fand zunächst eine Anstellung am Minsker Operntheater, arbeitete dann als Fotograf im Staatlichen Museum der Belarussischen SSR und im Janka-Kupala-Literaturmuseum sowie als künstlerischer Designer. In den Jahren 1969 bis 1972 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Kunstgeschichte, Ethnographie und Volkskunde der Akademie der Wissenschaften der Belarussischen SSR.

Er setzte sich für die Rettung von Baudenkmälern ein und kämpfte für die Bewahrung der historischen Bausubstanz in Minsk und im Minsker Umland. Im Zuge seines Engagements gegen die Pläne für den Abriss denkmalgeschützter Gebäude an der Minsker Njamiha-Straße publizierte er 1969 gemeinsam mit Ljawon Barasna in der „Pravda“ den Beitrag „Aus Sorge um die Zukunft“ (Zabotjas‘ o buduščem“), in dem sie sich gegen den Abriss der Straße wandten.

1974 verfasste er unter dem Pseudonym Henrich Rakutowitsch (er nutzte außerdem das Pseudonym P. Zjanowitsch) in russischer Sprache die Analyse „Die Lage in Belarus. 1974“ (Položenie v Belarusi. 1974). Darin thematisierte er die Unterdrückung der Belarussen durch das Regime (schon die Schreibweise „Belarus‘“ stellte sich der russischen Form „Belorussija“ entgegen). Abdrucke und Kopien des Textes fanden im Samisdat sowohl in Belarus als auch im Ausland Verbreitung.

Nach der Auflösung des Akademischen Zentrums 1975, in dem auch Pasnjak sich engagiert hatte, verlor er seine Arbeit. 1976 erhielt er eine Anstellung am Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Belarussischen SSR, wo er sich mit Bodendenkmälern und mittelalterlicher Architektur beschäftigte. 1981 verteidigte er in Leningrad seine Doktorarbeit.

In den 80er Jahren kämpfte er gegen den Abriss der Minsker Oberstadt. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre entstanden in Pasnjaks Umfeld die informellen Jugendorganisationen Talaka und Naščadki (Nachkommenschaft).

Ab 1988 stand Sjanon Pasnjak unangefochten an der Spitze der politischen Oppositionsbewegung in Belarus. Er machte die Geschichte des Waldgebiets von Kurapaty in der Nähe von Minsk bekannt – hier hatte der sowjetische NKWD in den Jahren 1937 bis 1941 Massenhinrichtungen durchgeführt. Die Wahrheit über Kurapaty war ein starker Impuls für das Entstehen gesellschaftlicher Bewegungen, deren Anliegen das Gedenken an die Opfer politischer Verfolgung und Gewaltherrschaft war. Im Herbst 1988 unterstützte Pasnjak die Gründung des Verbandes für die Opfer des Stalinismus Martyraloh Belarusi. 1989 war er an der Gründung der Belarussischen Volksfront Erneuerung (Belaruski Narodny Front „Adradzenne“) als der größten oppositionellen Bewegung des Landes beteiligt, aus der 1993 auch die Belarussische Volksfront (BNF) als Partei hervorging. Pasnjak wurde zu einem ihrer führenden Politiker.

Als gewählter Abgeordneter des Obersten Sowjets der Belarussischen SSR übernahm er 1990 den Fraktionsvorsitz der BNF. 1994 kandidierte er bei den ersten Präsidentschaftswahlen des Landes. Nach dem Wahlsieg von Aljaksandr Lukaschenka (Alexander Lukaschenko) ging er in die Opposition. Aufgrund politischer Verfolgung sah Pasnjak sich 1996 gezwungen, das Land zu verlassen. Er erhielt politisches Asyl in den USA und lebt heute mit seiner Familie in Warschau. Er gibt die Zeitung „Belaruskija vedamas’zi“ (Belarussische Nachrichten) heraus. Nach der Spaltung der BNF 1999, als Winzuk Wjatschorka zu deren Vorsitzenden gewählt wurde, stellte sich Pasnjak an die Spitze der von ihm gegründeten Konservativ-Christlichen Partei BNF (Kansėrvatyŭna-Chrys‘cijanskaja Partyja BNF).

Laryssa Androsik, Aleh Dsjarnowitsch
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 09/20