Andrei Sacharow

Andrei Sacharow, 1921–89

Andrej Dmitrievič Sacharov

Андрей Дмитриевич Сахаров

Am 16. August 1973 wurde Sacharow zu einem Gespräch mit dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt der UdSSR, Michail Malarow, einbestellt. Man warf ihm vor, dass er „antisowjetische Tätigkeit und Zersetzung“ betreibe und warnte ihn, dass seine Treffen mit Ausländern dazu beitragen könnten, dass sensible Informationen ausländischen Geheimdiensten preisgegeben werden würden. Sacharow achtete jedoch immer genau auf die Einhaltung der Geheimhaltungspflicht, die sich aus seiner früheren Arbeit ergab. Wahrscheinlich ging Malarow davon aus, dass allein das Stattfinden informeller Treffen mit Ausländern die ungeschriebene Regel verletze, solche Treffen vorab abzustimmen.

Am 21. August 1973 veranstaltete Andrei Sacharow eine Pressekonferenz in seiner Wohnung, auf der er über die Verwarnung berichtete und auf zahlreiche Fragen antwortete.

Im Februar 1974 unterzeichnete Sacharow den Moskauer Appell zur Verteidigung von Alexander Solschenizyn. Zwei Monate später schrieb er einen kritischen Artikel über Alexander Solschenizyns „Brief an die Führer der Sowjetunion“ (Pis‘mo voždjam sovetskogo Sojuza). Darin erklärte er sein Unverständnis für Solschenizyns Behauptung, dass die Sowjetunion nicht reif für die Demokratie sei, und bezeichnete dessen Aufruf zu Isolationismus und Drosselung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung als utopisch und gefährlich.

Vom 28. Juni bis 4. Juli 1974 trat Sacharow erstmals in den Hungerstreik, um während des Besuches von US-Präsident Richard Nixon in der UdSSR auf die Situation der politischen Gefangenen im Land aufmerksam zu machen. Am 30. Oktober 1974 wurde auf einer Pressekonferenz in seiner Wohnung verkündet, dass die Gefangenen der mordwinischen Lager, der Permer Lager und des Wladimir-Gefängnisses den Tag des politischen Häftlings in der UdSSR begehen würden. Im Dezember 1974 verlas Sacharow gemeinsam mit Sergei Kowaljow einen Appell für die Entlassung von gewaltlosen politischen Gefangen auf der ganzen Welt.

Mitte des Jahres 1975 stellte Sacharow die Schrift „Über mein Land und die Welt“ (O strane i mire) fertig, seine umfangreichste Veröffentlichung neben dem Essay „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit“. Darin griff er den aktuellen Zustand der sowjetischen Gesellschaft, die Abrüstung und die Minimierung der Gefahr eines Atomkrieges sowie die linksliberalen und sozialistischen Positionen vieler westlicher Intellektueller auf. Seine Beurteilung der sowjetischen Gesellschaft war pessimistischer als früher und er betonte, dass Unfreiheit, Ungleichheit, niedriger Lebensstandard und technologische Rückständigkeit ihre charakteristischen Eigenschaften seien. Wie immer schrieb Sacharow detailliert über aktuelle Fälle politischer Unterdrückung. Weiter kritisierte er die Ergebnisse der Abrüstungsverhandlungen zwischen der UdSSR und den USA. Seiner Ansicht nach war die Frage der Kontrolle der getroffenen Vereinbarungen nicht geklärt und darüber hinaus sogar ein Grundpfeiler des atomaren Gleichgewichts geschwächt, da sich das Ausmaß der Verluste bei Vergeltungsschlägen nun für einen Angreifer als hinnehmbar erweisen könnte. Sacharow warnte westliche Intellektuelle davor, „gedankenlos und leichtsinnig linksliberale Überzeugungen“ zu übernehmen, räumte aber gleichzeitig ein, dass der Linksliberalismus eng mit einer altruistischen Haltung verbunden sei und dass das Streben nach Gerechtigkeit, allgemeinem Wohlstand und die begründete Umsetzung linker Ideale mehr Gerechtigkeit, Glück und Wohlstand fördern könne.

Zwei Kapitel widmete er wichtigen Einzelthemen: dem Recht auf freie Wahl des Wohnorts im Sinne eines Rechtes auf Emigration sowie der Situation in Indochina nach dem Sieg der Kommunisten in Vietnam, der Roten Khmer in Kambodscha und der Situation im Nahen Osten vor dem Hintergrund des arabisch-israelischen und des kurdischen Konfliktes. Zum Abschluss zählte Sacharow Maßnahmen auf, die für eine innere Reform der Sowjetunion unverzichtbar wären und benannte dringende Schritte zur Verbesserung der internationalen Beziehungen.

Am 9. Oktober 1975 erhielt Andrei Sacharow den Friedensnobelpreis. Dieses Ereignis war nicht nur für den Preisträger, sondern für die ganze Dissidentenbewegung außerordentlich wichtig, da Andrei Sacharow sowohl für den Westen als auch für einen erheblichen Teil der sowjetischen Bevölkerung diese Bewegung verkörperte. In einer ersten kurzen Erklärung teilte Sacharow mit, dass er seine Auszeichnung mit allen gewaltfreien politischen Gefangenen teile und auf eine „globale politische Amnestie“ hoffe.

In der UdSSR wurde in der Presse eine neue Hetzkampagne gegen Sacharow lanciert. Er erhielt keine Erlaubnis für die Reise nach Norwegen zur Verleihungszeremonie mit der Begründung, dass er Geheimnisträger sei. Am 10. Dezember 1975 vertrat ihn deshalb seine Frau Jelena Bonner in Oslo, die sich in dieser Zeit bereits im Ausland aufgehalten hatte. Sie verlas die von Sacharow verfasste Nobelpreis-Rede, die er mit dem Titel „Frieden, Fortschritt und Menschenrechte“ (Mir, progress, prava čeloveka) versehen hatte. Darin begründete Sacharow den unauflösbaren Zusammenhang dieser drei Begriffe, die für die Entwicklung der modernen Welt zentral wären. Er lokalisierte die Gefahren, vor denen die Menschheit in der kritischen Phase der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand und hob besonders das Problem der Spaltung der Erde in eine Erste, Zweite und Dritte Welt hervor. Sacharow stellte die Ansicht in Frage, dass zum Wohl der Menschheit der wissenschaftlich-technische Fortschritt gebremst werden solle, rief aber auch zu dessen vernünftiger Kontrolle auf. Er wiederholte seine Einschätzung, dass die geistige Freiheit eine Schlüsselbedeutung für die Lösung der Probleme einnehme und nannte notwendige Voraussetzungen für ein allgemeines Abrüstungsabkommen. Der letzte Teil seiner Rede war den Menschenrechten, ihrer internationalen Bedeutung und den politisch Verfolgten in der UdSSR gewidmet. Er zählte die Namen einiger Dutzend politischer Häftlinge auf und hob hervor, dass man an erster Stelle „die Opfer der Regime, die in unterschiedlichen Ländern bestehen, unterstützen sollte, ohne zum Sturz und vollständiger Verurteilung dieser Regime aufzurufen. Notwendig sind Reformen und keine Revolutionen.“

Sacharow war am Tag der Verleihungszeremonie in der litauischen Hauptstadt Wilna (Vilnius), wo ein Gerichtsprozess gegen seinen Freund Sergei Kowaljow stattfand. Trotz hartnäckiger Versuche wurde er nicht in den Gerichtssaal vorgelassen.

Am 12. Januar 1977 äußerte sich Sacharow öffentlich zu den Bombenanschlägen in der Moskauer Metro. Er protestierte gegen die in der Presse geäußerten Unterstellungen, dass an den Terroranschlägen sowjetische Dissidenten beteiligt gewesen wären. Seiner Meinung nach hätte der Terrorakt auch eine Provokation der Sicherheitsorgane gewesen sein können: „Ich wünsche mir, dass sich dieser Verdacht als unbegründet erweist.“ Am 25. Dezember 1977 bezeichnete der stellvertretende Generalstaatsanwalt der UdSSR die Erklärung Sacharows als ungeheure Verleumdung, versuchte ihn zu einer öffentlichen Richtigstellung zu bewegen und warnte vor strafrechtlichen Konsequenzen auf der Grundlage des Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 25. Dezember 1972. Sacharow weigerte sich, das Protokoll über den Erhalt der Verwarnung zu unterschreiben.

In dem Artikel „Furcht und Hoffnung“ (Trevoga i nadežda) vom Mai 1977 thematisierte Sacharow die Gefahren, die der fehlende freie Austausch von Informationen in der Gesellschaft des totalitären Sozialismus verursachen könne. Dabei ging er auch auf die Bedeutung ein, die der Kampf für die Menschenrechte für die internationalen Beziehungen habe.

Anfang 1979 traf er sich mit Zbigniew Romaszewski, der als Vertreter des polnischen „Komitees für Gesellschaftliche Selbstverteidigung ‚KOR‘“ (Komitet Samoobrony Społecznej, KSS „KOR“) nach Moskau gekommen war.

Am 31. Januar 1979 bat Sacharow in einem Brief an Breschnew, die Vollstreckung der Todesstrafe gegen Stepan Satikjan, Hakop Stepanjan und Sawen Bagdassarjan, die wegen der Bombenanschläge in der Moskauer Metro verurteilt worden waren, auszusetzen und einen neuen, öffentlichen Gerichtsprozess durchzuführen. Die Verurteilten waren nach offiziellen Angaben bereits einen Tag zuvor erschossen worden, wovon Sacharow jedoch nichts wusste. Am 8. Februar veröffentlichte die Zeitung „Izvestija“ unter dem Titel „Schande über die Verteidiger der Mörder“ (Pozor zaščitnikam ubijc) einen Brief von Dmitri Tjuschyn. Tjuschyn war bei dem Anschlag zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter verletzt worden, sein Bruder war ums Leben gekommen. Kurze Zeit später erschienen bei Sacharow zwei Männer, die sich als Verwandte von getöteten Opfern des Anschlages ausgaben und ihn bedrohten.

Am 3. und 4. Januar 1980 gab Sacharow der „Welt“ und der „New York Times“ Interviews zur sowjetischen Intervention in Afghanistan. Falls die UdSSR ihre Truppen nicht aus dem Land abziehe, so erklärte er, solle das Internationale Olympische Komitee es ablehnen, die Olympiade in Moskau zu veranstalten.

Die Staats- und Parteiführung spielte lange vor 1980 mit dem Gedanken, Sacharow aus Moskau zu verbannen. Bereits im September 1973 schlug Breschnew auf einer Sitzung des Politbüros vor, Sacharow in eine sibirische Außenstelle der Akademie der Wissenschaften zu versetzen. Auch Andropow stellte damals in einer Notiz an das ZK einen Plan vor: Michail Suslow sollte sich mit Sacharow treffen und von ihm unter Androhung des Entzuges aller Titel und Orden die „Unterlassung der feindlichen Tätigkeit“ fordern. Außerdem sollte er ihm vorschlagen, seinen Arbeitsplatz in eine geschlossene Stadt zu verlegen, „damit er sich von der feindlichen Umgebung ablösen könne“.

Alexander Daniel
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 02/16