Die ideellen Wurzeln seines politischen Denkens stellte Geremek im November 1986 anlässlich eines öffentlichen Auftrittes im Französischen Kulturinstitut in Warschau vor (veröffentlicht in der Untergrundzeitschrift „Krytyka“, Nr. 25). Deutlich auf die gegenwärtige Situation in Polen bezogen, betonte er, „dass ein allmächtiger Staat zur [...] Verschlechterung des Schicksals der Menschen führt“. Der etatistischen Vision des Staates, „die zur „totalitären Versuchung“ führt, stellte er eine Konzeption von Demokratie entgegen, in der der Mensch „durch die Bedürfnisse der Freiheit zum Bürger wird“. Indem er zwischen Markt und Kapitalismus differenzierte, erkannt er an, „dass der Ausgangspunkt aller reformatorischen Bemühungen im Markt liegen müsse“, welcher der Antrieb der Freiheit sei. Geremek bezog sich auf die Enzyklika „Laborem exercens“ Johannes Pauls II., auf den Personalismus Emmanuel Mouniers und die dem sozialdemokratischen Denken verwandten Ideen Edward Abramowskis und Stefan Ossowskis. Er schrieb über die Bedeutung der Moralität des individuellen Menschen, der Rückkehr seiner Herrschaft über alle Dinge – auch über den Staat – und bezog sich auf die Konzeptionen der Subjekthaftigkeit der Gesellschaft mit Hilfe von „Vermittlungsorganismen“ genannten Selbstverwaltungen und Vereinigungen zur Realisierung gemeinsamer Interessen von Menschen, die so tätig sind, dass sie die Rechte des Menschen und des Bürgers verteidigen und die Allmacht des Staates einschränken. Er sah in der Solidarność ein Beispiel für die tatsächliche Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben, durch die „mehr Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ in ganz Europa erreicht werden könne.

1987 wurde er Berater der Landesarbeitskommission der Solidarność. Grundzüge einer neuen Außenpolitik skizzierend, schrieb Geremek damals über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Polens Nachbarn Ukraine und Litauen, aber auch mit der Tschechoslowakei und Ungarn. Dabei unterstrich er die Wichtigkeit der Vereinigung der oppositionellen Aktivitäten in diesem Teil Europas und der Entstehung einer mitteleuropäischen Gemeinschaft, die gegenüber dem geteilten bzw. – was er voraussah – wiedervereinigten Deutschland und gegenüber Russland mit einer Stimme sprechen könnte und damit unabhängiger wäre. Von Anfang an sah er die Bedeutung von Michail Gorbatschows Reformen für den gesamten Ostblock. Die Freilassung Andrei Sacharows im Jahre 1987 begrüßte Geremek als Hoffnung auf eine auf das „souveräne Recht der Nationen“ gestützte Verständigung zwischen Polen und Russen. Er schrieb unter eigenem Namen in der Untergrundpresse, zum Beispiel in der von ihm mit geleiteten Zeitschrift „21“ sowie in „Krytyka“ (Kritik), „Przegląd Polityczny“ (Politische Rundschau) und „Myśl Niezależna“ (Unabhängiges Denken).

Am 24. April 1987 wurden er und Janusz Onyszkiewicz, Magdalena Sokołowska und Klemens Szaniawski von Regierungssprecher Jerzy Urban beschuldigt, Kontakte zu einem Agenten des amerikanischen Geheimdienstes zu unterhalten. (In den 90er Jahren wurde in diesem Zusammenhang gegen Urban ein Verleumdungsprozess angestrengt, der mit einer öffentlichen Entschuldigung Urbans endete.)

Geremek war auch Mitautor der „Erklärung der 62“ vom 31. Mai 1987, die von Solidarność-Aktivisten und der Gewerkschaft nahestehenden Intellektuellen unterschrieben wurde. Die Erklärung, die anlässlich des Polenbesuches von Papst Johannes Paul II. entstand, hob nicht nur das Recht Polens auf Unabhängigkeit deutlich hervor, sondern listete auch die Notwendigkeiten der Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz, der Gewissensfreiheit, Überzeugungs- und Meinungsfreiheit, „der Anerkennung pluralistischer Prinzipien im gesellschaftlichen und politischen Leben“ auf. Ziel war die Souveränität Polens verstanden als „Freiheit im Bereich der Innenpolitik, Freiheit von äußerer Beeinflussung und gleichberechtigte Beziehungen mit anderen Staaten“.

Marek Kunicki-Goldfinger
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 10/15