Georgien

Giorgi Tschanturia

Giorgi Tschanturia, 1959–94

Giorgi Ch’ant’uria / Georgij Čanturija

გიორგი (გია) ჭანტურია / Георгий Чантурия

Historiker, Mitglied des konspirativen Kampfbundes zur Befreiung Georgiens, Bürgerrechtler.

Giorgi (Gia) Tschanturia wurde 1959 in Tiflis geboren. Sein Vater war ein angesehener Ingenieur, seine Mutter Philologin und Pädagogin. Noch als Abiturient trat Tschanturia 1976 der im Untergrund agierenden Jugendorganisation Kampfbund zur Befreiung Georgiens bei. Hier war er an der Vervielfältigung von Flugblättern beteiligt, die am 7. November 1977 und am 17. Februar 1978 in Tiflis verteilt wurden, und engagierte sich bei der Vorbereitung der Demonstration am 14. April 1978. Im gleichen Jahr nahm er an der Historischen Fakultät der Universität Tiflis sein Studium auf. Nach der Inthronisation von Ilia II. zum Patriarchen der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche wandte er sich, wie viele patriotisch eingestellte junge Menschen, der Kirche zu.

Gemeinsam mit anderen organisierte Tschanturia in Tiflis eine Kundgebung und eine Demonstration für die Freilassung von Irakli Zereteli und Paata Sagaradse, die im Sommer 1983 wegen der Verbreitung von Flugblättern gegen die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des Vertrags von Georgijewsk verhaftet worden waren. 17 Demonstranten wurden festgenommen, sechs von ihnen (darunter Tschanturia) wegen „Rowdytums“ vor Gericht gestellt. Am 10. September 1983 verurteilte das Stadtgericht Tiflis Tschanturia nach Artikel 206, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der Georgischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu drei Jahren Freiheitsentzug. Die Mitangeklagten Surab Zinzadse und Olga Schakiaschwili wurden zu drei beziehungsweise zwei Jahren Haft verurteilt. Die Verfahren gegen die übrigen Angeklagten fanden separat statt. Seine Haftstrafe verbüßte Tschanturia im Strafgefangenenlager in Kirowo-Tschepezk (Oblast Kirow). Hier verfasste er Erzählungen, die hauptsächlich vom Leben der Gefangenen handelten. Am 30. September 1985 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen.

Nach der Rückkehr nach Tiflis schloss Tschanturia sein Studium ab. Er fand eine Anstellung als stellvertretender Redakteur in dem Verlag Knižnaja Palata, die er aufgrund von Stellenkürzungen jedoch bald wieder verlor. Er trat der Ilia-Tschawtschawadse-Gesellschaft bei, stieg in die Leitung auf und übernahm hier die Redaktion der Zeitschrift „Moambe“ (Der Bote). Am 30. November 1988 wurde er zum Vorsitzenden der National-Demokratischen Partei gewählt, die sich als Nachfolgerin der gleichnamigen, in den Jahren der Unabhängigkeit Georgiens von 1918–21 existierenden Partei begriff. In den Jahren 1988 und 1989 war Tschanturia an der Vorbereitung und Durchführung von Massenkundgebungen und Demonstrationen in Tiflis beteiligt. Nach der Kundgebung vor dem Regierungsgebäude vom 4. bis. 9. April 1989 wurde er festgenommen, obwohl seine Partei an der Organisierung der Proteste nicht beteiligt war. Im Mai 1989 kam er frei.

Tschanturia gehörte zu den Gegnern des von Swiad Gamsachurdia als Präsidenten geführten Regimes. Am 16. September 1991 wurde er erneut inhaftiert. Aus dem Gefängnis verfasste er Briefe an die Botschaft der Vereinigten Staaten in Moskau, an das State Department und an US-Präsident George Bush, in denen er von einer Diktatur Gamsachurdias sprach und die Verfolgung und Inhaftierung von Oppositionellen kritisierte: „Presse und Fernsehen sind monopolisiert worden, gegen die Opposition wird eine erbitterte Verleumdungskampagne geführt […] Die Intelligenz wird als Feind betrachtet.“ Dennoch bat er den amerikanischen Präsidenten um die Anerkennung der Unabhängigkeit Georgiens. Am 9. Dezember 1991 begann in Tiflis das Gerichtsverfahren gegen ihn, am 26. Dezember aber wurde er von Einheiten der am Putsch gegen Präsident Gamsachurdia beteiligten Nationalgarde befreit.

Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der National-Demokratischen Partei, die ab 1992 als Abgeordnete im georgischen Parlament tätig waren, stellte sich Tschanturia nicht zur Wahl, sondern konzentrierte sich auf die Parteiarbeit. Er kritisierte auch den neuen Präsidenten Eduard Schewardnadse und bezeichnete den Beitritt zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als „politischen Selbstmord“.

Giorgi Tschanturia wurde am 3. Dezember 1994 vor seinem Haus in Tiflis ermordet. Bei dem Attentat kam auch sein Leibwächter ums Leben, seine Ehefrau Irina Sarischwili wurde schwer verletzt. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie die Führung der National-Demokratischen Partei. Seine letzte Ruhestätte fand Giorgi Tschanturia auf dem Hof der Sankt-Georg-Kirche im Zentrum von Tiflis.

Guram Sosselia
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 01/19