Schuhmacher, christlicher Aktivist, Prediger und Pfarrer; Selbstverbrennung aus Protest gegen die kommunistische Diktatur

Am Anfang der Herbstrevolution in der DDR 1989 stand der Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Rippicha. Mit seiner öffentlichen Selbstverbrennung am 18. August 1976 auf dem Marktplatz der Kreisstadt Zeitz setzte er ein Fanal im Kampf gegen den Kommunismus, mitten in einer Hochburg der sozialistischen Arbeiterbewegung und im „Wahlkreis“ des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke. Jahrelang hatten die SED und ihr Staat zuvor von der Leitung der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen verlangt, den „Störenfried“ zu versetzen, bis diese ihn zu einem Pfarrstellenwechsel drängte. Mit seinem flammenden Protest prangerte Oskar Brüsewitz nicht nur die staatliche Diskriminierung junger Christen in der DDR an („Funkspruch an alle ... Funkspruch an alle ... Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“), sondern formulierte zugleich eine bittere Anklage an die Kirchenleitung wegen ihrer Rolle im Sozialismus.

Oskar Brüsewitz wurde am 30. Mai 1929 in Willkischken (Litauen) als Sohn des Malermeisters Arthur und dessen Ehefrau Agathe geboren. Die Eltern bildeten ein ökumenisches Paar: sie katholischer, er evangelischer Konfession. Seine religiöse Unterweisung wie auch die seiner drei Geschwister orientierte sich an der väterlichen Glaubensauffassung. Brüsewitz besuchte von 1935 bis 1943 die Volksschule im nahe gelegenen Wischwill. Im ostpreußischen Kreuzingen (Kreis Hinrichswalde) nahm er eine Kaufmannsausbildung in einem Gemischtwarenhandel auf, die er aber abbrechen musste, weil er als Hitlerjunge zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde, der ihn nach Rosleben an der Unstrut, dann nach Atern an der Saale führte. Als Panzerfaustschütze wurde er 16-jährig zur Wehrmacht eingezogen. Brüsewitz kam in Warschau, Litauen und Ostpreußen gegen die Rote Armee zum Einsatz. Prägende Jahre, die auf ihn abfärbten und seinen Hang zu militärischen Vokabeln erklärten: „Wir stürmen“, nannte er es später, wenn er im SED-Staat für Gott werben wollte.

Im Herbst 1945, nach seiner Kriegsgefangenschaft, fand sich die Familie im sächsischen Burgstädt wieder, wo er nun zum Schuhmacher ausgebildet wurde. 1947 ging er in den „Westen“, nach Melle in Niedersachsen, wo er in seinem Beruf arbeitete. 1949 machte er sich selbstständig und erwarb 1951 bei der Handwerkskammer in Osnabrück den Meistertitel. Er nahm erst in Melle, dann in Hildesheim am kirchlichen Gemeindeleben teil und engagierte sich beim Christlichen Verein junger Menschen. Nachdem seine erste, 1951 geschlossene Ehe geschieden worden war, siedelte er nach Weißenfels (Sachsen-Anhalt) über. Er fand eine Anstellung in einer Schuhfabrik, doch wurde er wegen einer ungenehmigten „Westreise“ entlassen.

In diesen Jahren engagierte er sich leidenschaftlich, spontan und öffentlich wahrnehmbar in der Leipziger „Christen-Gemeinde Elim“: Oskar Brüsewitz fand dort seinen eigentlichen Beruf, den des Aktionstheologen. Die Zentrale dieser freikirchlichen Gemeinde, die besonders auf Missionstätigkeit Wert legte, an die wörtliche Geltung der biblischen Schriften glaubte und die Erwachsenentaufe durchführte, befand sich seinerzeit in Hamburg, weshalb die Elim-Gemeinden vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Vorgang „Sekte, Gnaudauer Gemeinschaftswerk“ beobachtet wurden. So geriet auch Oskar Brüsewitz schon in den 50er Jahren ins Visier der Staatssicherheit, die darum bemüht war, ihn so zu isolieren, dass er „nicht in den Augen der Menschen als Märtyrer für seine religiöse Idee steht“. Seitdem war er wiederholten, überwiegend verdeckten Pressionen der Staatsmacht ausgesetzt, die zunahmen, als er mit eigenen Mitteln ein Grundstück pachtete, darauf einen christlichen Kinderspielplatz errichtete, einen bemerkenswerten Schaukasten („Jesus Christus spricht: Ich bin der Erste“) oder einen ausrangierten Eisenbahnwagen aufstellte, um so Aufmerksamkeit zu erzeugen und zum Nachdenken anzuregen. Dies waren allesamt Aktionsformen, die er später auch in Rippicha anwenden sollte. Der Staat reagierte darauf heftig, was der unauffällig bleiben wollenden Elim-Gemeinde missfiel. Oskar Brüsewitz trennte sich gemeinsam mit seiner späteren Frau Christa Roland von dieser Gemeinde und schloss sich der evangelischen Landeskirche an.

Der bekennende Christ hatte den Ehrgeiz, die Predigerschule in Wittenberg zu besuchen, doch musste er, kaum einen Monat dort, sie aus gesundheitlichen Gründen wieder verlassen. 1955 machte er sich erst in Markkleeberg, dann in Weißensee (Thüringen) selbstständig. Sein Geschäft, das sich auf Kinderschuhe spezialisiert hatte, florierte und verfügte zeitweise über bis zu zehn Angestellte. 1963 musste er es aufgeben, weil es staatlicherseits in die Produktionsgenossenschaft Handel Sömmerda vereinnahmt wurde, als deren Zweigstellenleiter er dann fungierte.

Angesichts dieser Situation versuchte er 1964 einen zweiten, von Erfolg gekrönten Anlauf an der Predigerschule, die er 1969 in Erfurt abschloss. In einer Klausur nahm er zur sowjetischen Kirchenpolitik Stellung, die auf „Entkirchlichung“ und „Zersetzung“ ziele, „Christen gegen Christen ausspielen“ wolle in der Absicht, die Kirchen „willfährig zu machen“. Kurz: Die „Vernichtung einer Kirche durch einen totalitären Staat“. Von diesem Blickwinkel sollte Oskar Brüsewitz niemals abrücken, er ist vielmehr der Schlüssel zu seinem Fanal. Darin reiht sich organisch seine Examensarbeit ein, die sich mit dem Generalsuperintendenten Paul Blau, der ebenso dachte, auseinandersetzte. Einer solchen Kirchenpolitik zu widerstehen war dann das konsequent verfolgte Programm des Hilfspfarrers (1969/70), dann des Pfarrers von Droßdorf-Rippicha (Kreis Zeitz).

Dort entwickelte er eine rege kirchliche Jugendarbeit und bemerkenswerte soziale Aktivitäten wie etwa die Einrichtung eines evangelischen Kinderspielplatzes; auch war seine unorthodoxe und undogmatische Art, in der DDR als Christ und Werber Gottes zu leben, auffallend. Nach einer ganzen Serie von verschiedenen symbolischen Protestaktionen nahmen staatliche Repressionen zu. So hatte er 1969 ein 2,5 Meter hohes Neonkreuz auf dem Turm der Rippichaer Kirche installiert, das in Richtung der Fernverkehrsstraße Zeitz–Gera weithin sichtbar leuchtete. Und als die DDR im selben Jahr propagandistisch großaufgemacht ihr 25-jähriges Bestehen feierte, hielt Oskar Brüsewitz diesen Selbstfeiern ein Plakat entgegen, das verkündete: „2.000 Jahre Kirche Jesu Christi“. Der von der SED ausgegebenen Parole „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“ entgegnete er sichtbar: „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott“.

Zunehmend bedrängten staatliche Stellen die evangelische Kirchenleitung, diesen Pfarrer zu versetzen, was im Frühjahr 1976 erheblich massiert wurde. Nachdem die Kirchenleitung über Jahre dieses Ansinnen zurückgewiesen hatte, entschied sie sich im Sommer 1976, Oskar Brüsewitz einen Pfarrstellenwechsel nahezulegen. Der Pfarrer fühlte sich von seiner Kirche im Stich gelassen und entschied sich für den öffentlichen Freitod, den er als Fanal verstanden wissen wollte. Etwa 300 Menschen sahen am 18. August 1976 entsetzt zu, wie Brüsewitz im Talar auf dem Marktplatz von Zeitz brannte. Er hatte zuvor noch zwei Plakate angebracht, auf denen er den Kommunismus wegen seiner Verbrechen anklagte.

Am 22. August 1976 verstarb Oskar Brüsewitz an den Verbrennungen im Bezirkskrankenhaus in Halle. Seine Bestattung wurde zu einer stillen Kundgebung der DDR-Opposition. Die SED und deren Repressivorgane versuchten vergeblich, das durch Brüsewitz gesetzte Fanal zu unterdrücken und zu verleumden. Die überraschend entstandene, wenn auch kleine Solidaritätsbewegung in der DDR verunsicherte die Kirchenleitung erheblich, die sich wiederum schroff gegen das 1977 in der Bundesrepublik gegründete „Brüsewitz-Zentrum“ wandte, welches die DDR-Opposition unterstützte und Repressalien des SED-Staates dokumentierte. Dieses Zentrum führte jährlich anlässlich des Todestages eine Gedenkfeier durch. Am 18. August 1990 wurde vor der Michaeliskirche in Zeitz eine Gedenksäule mit der Inschrift „Oskar Brüsewitz 18. 8. 1976“ feierlich eingeweiht.

Helmut Müller-Enbergs
Letzte Aktualisierung: 06/16