Als Schüler protestierte er gegen die innerdeutsche Grenze, wofür er zehn Jahre in politischer Haft saß, bis er von der Bundesrepublik freigekauft wurde. Danach betätigte er sich als Fluchthelfer und organisierte spektakuläre Protestaktionen gegen das DDR-Grenzregime – an der innerdeutschen Grenze baute er Selbstschussanlagen ab. Beim Versuch, eine dritte Selbstschussanlage abzubauen, wurde er von einem Spezialkommando der Staatssicherheit erschossen.

Gartenschlägers kurzes und auf tragische Weise verpfuschtes Leben stand konsequent quer zum herrschenden Zeitgeist. Das ruhmlose Ende des SED-Systems könnte als eine späte Rechtfertigung seines kämpferischen und aktionistischen Antikommunismus empfunden werden. Doch der Prozess vor dem Landgericht Schwerin gegen die Mitglieder des Sonderkommandos der Staatssicherheit, das ihn erschossen hatte, und der Freispruch zehn Jahre nach dem Ende der DDR lassen erneut die tragische Einsamkeit dieses unzeitgemäßen Helden deutlich werden.

Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war das Schicksal dieses am 13. Januar 1944 in Strausberg bei Berlin geborenen Arbeiterjungen. Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, war er 17 und machte eine Lehre als Autoschlosser. In diesen Tagen legten sich Lethargie und lähmendes Schweigen über die nun endgültig eingeschlossene DDR. Die Westmächte taten nichts, die Bonner Regierung mahnte zur Besonnenheit und die öffentliche Empörung der West-Berliner, der insbesondere Willy Brandt Ausdruck verlieh, drohte bald schon in Alltagsnormalität zu verebben. Auch viele DDR-Bürger hielten es jetzt für vernünftiger, abzuwarten, als ins offene Messer zu laufen.

Gartenschläger und seine Freunde wollten nicht vernünftig und besonnen abwarten. Sie zogen nachts los und malten Parolen an die Häuserwände. „Lieber tot als rot“, soll da gestanden haben. Um ein Zeichen des Widerstandes zu setzen, zündeten sie schließlich eine Feldscheune an. Ein Mitglied der Gruppe wurde aus Angst zum Verräter. Bereits am 19. August 1961 wurden alle Teilnehmer der Aktion verhaftet. Der Staatsmacht kam der Fall gerade recht, um ein Exempel zu statuieren. Gartenschläger und seine Freunde waren wohl das, was man damals in Ost und West „Halbstarke“ nannte. Sie waren gern nach West-Berlin gefahren, um dort ins Kino oder zu Rock’n’Roll-Konzerten zu gehen. Insofern passten sie nicht nur in das Feindbild des Staates, sondern auch in das vieler Kleinbürger. Der Tatbestand der Brandstiftung bediente zudem das Propagandaklischee von den „Achtgroschenjungen“, die aufgehetzt durch den Westsender RIAS angeblich in der DDR Sabotageakte durchführen sollten, um eine Aggression des westdeutschen Imperialismus vorzubereiten. Der Prozess gegen die Jugendlichen wurde deswegen im Beisein von Vertretern aus Betriebskollektiven und Schulen durchgeführt und entgegen den sonstigen Gepflogenheiten in der Presse breit dargestellt.

Gartenschläger wurde im September 1961, obwohl er zur Tatzeit noch nicht volljährig gewesen war, zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Gert Resag zu lebenslanger Haft verurteilt. Weitere Mitglieder der losen Gruppe erhielten Haftstrafen zwischen sechs und 15 Jahren. Gartenschläger verbrachte zehn Jahre seiner Jugend hinter Gittern, dann kaufte ihn der Westen frei.

Inzwischen standen deutschlandpolitisch die Zeichen auf „Wandel durch Annäherung“. Doch Gartenschläger, der nun in Hamburg lebte, wollte keine Annäherung an den hassenswerten Mauerstaat. Er tat sich mit anderen ehemaligen DDR-Häftlingen zusammen, um Fluchtaktionen über die Transitstrecke zu organisieren. Schließlich plante er jene spektakulären Aktionen, die ihm das Leben kosten sollten. Bereits eine Woche vor seinem Tod gelang es ihm, zwei Selbstschussanlagen vom Typ „SM-70“ vom Metallgitterzaun der DDR-Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze abzubauen. Diese Geräte verschossen – durch einen Draht ausgelöst – kleine scharfkantige Metallwürfel, die ihre Opfer regelrecht zerfetzten. Nichts konnte der SED-Führung angesichts ihrer Bemühungen um internationale Anerkennung peinlicher sein, als dass diese menschenverachtenden Tötungsmaschinen nun der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Eilfertig erklärte man die Objekte für Attrappen. Als man in Ost-Berlin von dem Plan hörte, einen solchen Selbstschussautomaten am 1. Mai vor der DDR-Vertretung in Bonn am Fahnenmast hochzuziehen, müssen alle Alarmglocken geläutet haben.

Was ganz genau in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1976 am Grenzpfahl 231 geschah, ist auch nach dem Prozess in Schwerin noch unklar. Sicher ist, dass es einen Spitzel in der Gruppe von Gartenschläger gab. Unbestreitbar ist auch, dass ein Exekutionskommando der DDR-Staatssicherheit auf die drei Männer gewartet hatte, die sich in der mondhellen Nacht der Grenze näherten. Nach Aussagen der beiden Begleiter erfolgte kein Anruf und kein Warnschuss. Die Behauptung der Todesschützen, Gartenschläger habe zuerst geschossen, ist wohl eine spätere Notlüge. Wenig glaubhaft bleibt auch die Aussage, sie hätten den Befehl gehabt, den „Grenzverletzer“ festzunehmen. Fast 24 Jahre nach der Tat entscheiden die Richter des Landesgerichts Schwerin dennoch aufgrund dieser Aussagen zugunsten der Angeklagten, die das Gerichtsgebäude als unbescholtene Männer verlassen können. Aktenkundig ist jedoch, dass im Einsatzbuch unter der Rubrik „Erfüllung“ der Vermerk „sehr gut“ steht. Die Täter bekamen einst einen Orden und eine Geldprämie. Das Opfer wurde als angebliche „anonyme Wasserleiche aus der Elbe“ in aller Heimlichkeit von den DDR-Behörden beerdigt.

Stefan Wolle
Letzte Aktualisierung: 08/16