Nicht nur Sozialdemokraten, auch Kommunisten mussten die bittere Erfahrung machen, sowohl zu Zeiten der nationalsozialistischen als auch der kommunistischen Diktatur aus politischen Gründen in Zuchthäuser gesperrt worden zu sein. Beispielhaft ist das Schicksal von Heinz Brandt, der elf Jahre in nationalsozialistischen Haftanstalten und Lagern verbringen musste, gefolgt von drei Lebensjahren in Zuchthäusern der DDR.

Heinz Brandt, Jahrgang 1909, wurde als Sohn eines jüdischen Schriftstellers und Kunstkritikers in Posen (Poznań) geboren und verlebte dort seine durch den Ersten Weltkrieg geprägte Kindheit. Die Eltern begrüßten hoffnungsvoll die Russische Revolution von 1917 und beeinflussten damit den künftigen politischen Lebensweg ihres Sohnes. Brandt begann 1926 das Studium der Volkswirtschaft an der Berliner Universität und wurde Mitglied der KPD. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 wurde er von der SA festgenommen und verprügelt, aber wieder freigelassen. Bis zu seiner Verhaftung im Dezember 1934 organisierte er eine illegale Betriebszeitung in Berlin, den „Siemens-Lautsprecher“. Als ihn die Gestapo verhaftete, bereitete er sich gerade auf eine Reise nach Moskau vor, um dort die Lenin-Schule der Komintern zu besuchen. Die meisten Teilnehmer des Lehrgangs, für den er vorgesehen war, fielen später den stalinistischen Verfolgungen zum Opfer. In Moskau lebten bereits Brandts Geschwister Richard und Lili. Der Bruder kam im Terror um, die Schwester wurde für siebzehn Jahre nach Sibirien verbannt

Brandt selbst wurde 1935 in Berlin zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, danach verschleppte man ihn in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Auschwitz. Hier beteiligte er sich an einer Dokumentation über die Todesfabrik, die von den Häftlingen erstellt, aus dem Lager geschmuggelt und über einen Sender der polnischen Widerstandsbewegung aus Krakau nach London gefunkt wurde. 1945 überlebt er den „Todesmarsch“ von Auschwitz nach Buchenwald, wo sich die Häftlinge im Angesicht amerikanischer Truppen befreiten.

Im Sommer 1945 kehrte Brandt nach Berlin zurück und trat erneut in die KPD ein. Er arbeitete als Angestellter des Magistrats von Groß-Berlin und für den Hauptausschuss „Opfer des Faschismus“. Politisch dominierte die KPD diese Einrichtungen. An der Einstufung als „Kämpfer gegen den Faschismus“ oder „Opfer des Faschismus“ entzündete sich ein Streit, in dem Brandt gegen diese von der KPD vorgenommene Unterscheidung auftrat. Er erklärte im Oktober 1945 in Leipzig: „Es ist unmöglich, einerseits eine Aufklärungspolitik im deutschen Volk zu betreiben, die das verbrecherische Wesen der Nazi-Ideologie gerade auch an der Vernichtungspolitik gegenüber den Juden klarmachen will, während man andererseits erklärt, die Juden als Opfer des Faschismus nicht anerkennen zu wollen.“

1946 zwang die KPD mit Hilfe der Besatzungsmacht die SPD in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zur Fusion in die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED), deren Mitglied Brandt wurde. Mit dem Argument „Heinz, Du bist doch kein Stalinist“, versuchte Brandts Freund Siggi Neumann ihn davon zu überzeugen, diesen Schritt nicht zu tun, sondern sich im Westen der SPD anzuschließen. Brandt lehnte ab, blieb aber wie schon einmal 1933/34 mit Neumann in Verbindung, um ihn über die Vorgänge im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu unterrichten. Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs war Neumann Leiter des „Ostbüros“ beim Parteivorstand der SPD, das aus dem Westen Verbindungen zu Sozialdemokraten in und außerhalb der SED in der SBZ aufrechterhielt. Das SPD-Ostbüro wurde von den Kommunisten als geheimdienstliche Organisation eingestuft.

1952 wurde Brandt Mitglied des Sekretariats der SED-Landesleitung Berlin. In dieser Funktion erlebte er, wie kurz vor dem Tod Stalins die Kaderakten von SED-Funktionären jüdischer Herkunft eingesammelt wurden. Er hoffte mit anderen auf den „Neuen Kurs“, den die KPdSU Anfang Juni der SED verordnete, um die Lage in der DDR angesichts hoher Flüchtlingszahlen zu stabilisieren. Als verantwortlicher Sekretär für Agitation und Propaganda wurde er am 16. Juni mit einem Streik der Bauarbeiter in der Stalinallee konfrontiert, der sich gegen eine Normerhöhung richtete, die die Arbeiter als Lohnsenkung zu spüren bekamen. Brandt initiierte einen Antrag der Berliner Bezirksleitung an das Politbüro der SED, die Normerhöhungen sofort rückgängig zu machen. Das Politbüro folgte dem Antrag, aber es war zu spät, um die Bewegung zu stoppen, die über Nacht die gesamte DDR erfasste.

In über 700 Städten und Gemeinden kam es zu Streiks und Demonstrationen, an denen sich etwa eine Million Menschen beteiligten. Mit der Forderung nach geheimen Wahlen, dem Sturz der Regierung sowie der deutschen Einheit stellte die Volksbewegung die Machtfrage, die nur durch das direkte Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht zugunsten der SED entschieden wurde. Brandt wurde am 17. Juni in den Berliner Großbetrieb Bergmann-Borsig geschickt, um auf die Arbeiter einzuwirken. Das tat er, aber entgegen der Linie der Partei: Er solidarisierte sich mit den Streikenden und initiierte die Wahl eines Betriebsausschusses. Damit war seine Karriere als Parteifunktionär beendet. Über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 urteilte Brandt später im Westen: „Der 17. Juni hatte vor aller Welt offenbart, dass die SED keine Basis im Volk hatte, sich nicht ohne den bewaffneten Schutz der Sowjettruppen an der Macht halten konnte. Er hatte gezeigt, dass die Partei hohl war: Sie barst, als das Volk sich erhob.“

Nach der auf dem XX. Parteitag der KPdSU eingeleiteten (teilweisen) Entstalinisierung fuhr Brandt 1956 nach Moskau, um nach Bruder und Schwester zu suchen. Erst durch die dortigen Erzählungen begriff er, „dass Stalinismus ein Millionen-Mord-Regime gewesen ist, und nicht das, was ich vorher angenommen hatte“. Er brach mit der SED, floh 1958 in den Westen und wagte Wandel und Neuanfang als Journalist der Gewerkschaftszeitung „metall“. Am 16. Juni 1961 wurde er im amerikanischen Sektor von Berlin von Agenten des DDR-Staatssicherheitsdienstes gekidnappt und in die Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen im Ostteil der Stadt gebracht; die Mauer war noch nicht gebaut. Im Februar 1962 beschloss das SED-Politbüro, gegen Brandt und seine Mitangeklagten Karl Raddatz und Wilhelm Fickenscher eine Anklageschrift ausarbeiten zu lassen, in deren Mittelpunkt die vermeintliche Tätigkeit der Angeklagten für westliche Agentenorganisationen stehen sollte. In einem Geheimprozess vor dem Obersten Gericht der DDR wurde Brandt zu dreizehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Drei Jahre blieb er inhaftiert, bis eine internationale Solidaritätskampagne 1964 dazu führte, dass er aus der Haft entlassen wurde. Zu den Organisatoren der Kampagne gehörten der Deutsche Gewerkschaftsbund und Amnesty International.

Auch nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik blieb Brandt ein Streiter im Kampf um seinen Traum für eine gerechte Welt. Er blieb solidarisch mit allen Bewegungen gegen den sowjetischen Kommunismus, sei es der Prager Frühling 1968, die Solidarność in Polen oder die Opposition in der DDR.

Heinz Brandt starb 1986 in Frankfurt am Main.

Manfred Wilke
Letzte Aktualisierung: 08/16