Katholischer Sozialpädagoge, Teilnehmer am Volksaufstand vom 17. Juni 1953, Tätigkeit in der Seelsorge der katholischen Kirche; einer der wichtigsten Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung in der DDR, Organisator der „Polenseminare“, von Studien- und Pilgerfahrten nach Polen, Leitungsmitglied der „Aktion Sühnezeichen“ in der DDR.

Die deutsch-polnischen Beziehungen gestalteten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, der mit dem deutschen Überfall auf Polen begann, aus verständlichen Gründen sehr schwierig. Die heutigen guten Kontakte zwischen beiden Ländern sind nicht allein das Ergebnis der letzten Jahre, sondern basieren auf jahrzehntelangen Bemühungen von Privatpersonen und Organisationen, die sich für die deutsch-polnische Versöhnung engagierten. Eine solche Arbeit gab es auch in der DDR, obwohl dies dort kein leichtes Unterfangen war. Denn in der offiziellen Politik des „Arbeiter- und Bauernstaates“ war die „Freundschaft“ mit dem östlichen sozialistischen „Brudervolk“ staatspolitisch instrumentalisiert. Eine gesamtgesellschaftlich getragene Aussöhnung mit Polen war nicht vorgesehen, die Propaganda behauptete, die ehemaligen Nazi-Verbrecher lebten allein in der Bundesrepublik. Und doch fanden sich auch in der DDR Menschen, die eine Versöhnung mit Polen anstrebten. Die wohl wichtigste Person in diesem Zusammenhang und die erste, die sich dieses Themas annahm, war Günter Särchen.

Geboren wurde Günter Särchen 1927 in dem kleinen Städtchen Wittichenau in der Lausitz in einer deutsch-sorbischen Familie. Seine Erziehung war von bürgerlichen und katholischen Werten geprägt, an die er sich zeitlebens hielt. Als Sorbe war für ihn die Schulzeit im nationalsozialistischen Deutschland von Diskriminierung geprägt, die er durch seine Mitschüler im Wittichenauer Gymnasium erfahren hatte. Dies bewog Särchen dazu, dass er ein „guter Deutscher“ sein wollte. Wie fast alle Jugendlichen trat er in die „Hitlerjugend“ ein und avancierte später zum Gruppenführer. Doch das bedeutet nicht, dass er Nationalsozialist war, denn zur gleichen Zeit engagierte er sich auch in der illegalen katholischen „Kolping-Jugend“.

Im Alter von 17 Jahren wurde Särchen Wehrmachtssoldat und kam im Raum Berlin zum Einsatz. Sein Vorgesetzter zog die Gruppe systematisch Richtung Westen zurück, um im Fall einer Gefangennahme nicht in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu geraten. Bei Kriegsende kam Särchen in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager in Bad Kreuznach, aus dem er 1946 entlassen wurde. Er kehrte in die Lausitz zurück, gründete dort in seinem Heimatort die FDJ und wurde Mitglied der Ost-CDU. Einige Zeit später verließ er aber beide Organisationen, weil ihm zunehmend klar wurde, dass diese keine freien Gruppierungen waren. Insbesondere die FDJ war von der SED abhängig, mit der sich Särchen keinesfalls identifizieren konnte und wollte.

1948 begann Günter Särchen ein Pädagogikstudium in West-Berlin und arbeitete zugleich in der Jugendseelsorge in Görlitz, wo er auf viele vertriebene Schlesier traf. Außerdem begegnete er in dieser Grenzstadt zum ersten Mal Polen. Da begann sein Interesse für den östlichen Nachbarn Deutschlands zu erwachen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen war, wie wichtig es zukünftig für ihn werden sollte.

Günter Särchen nahm aktiv am Aufstand im Juni 1953 teil, indem er in Görlitz unter anderem Kurierdienste zwischen einzelnen streikenden Betrieben übernahm, weshalb er nach der Niederschlagung des Aufstandes fliehen musste. Sein Ziel war Magdeburg, wo er wiederum in der Jugendseelsorge tätig wurde. Außerdem fand er dort Menschen, die sich wie er für die deutsch-polnische Versöhnung engagierten. In Magdeburg heiratete Särchen 1955 seine erste Frau Christa Schäfer, die er bereits aus Görlitz kannte. Sie verstarb nach der Geburt des zweiten Kindes im Jahr 1959.

1956 übernahm Särchen den Aufbau einer Bildstelle für die katholische Kirche in der DDR, später arbeitete er im Magdeburger Seelsorgeamt und hatte die Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel inne. Diese Einrichtung leitete Särchen bis 1984 und organisierte von dort aus die meisten seiner auf Polen bezogenen Aktivitäten.

Ab Mitte der 50er Jahre unterhielt Särchen Kontakte nach Polen, die sich aber anfangs nur auf Briefe und Büchersendungen beschränkten. Erst 1960 unternahm er die erste Polenreise und knüpfte persönliche Kontakte zu verschiedenen kirchlichen und oppositionellen Kreisen. Im gleichen Jahr heiratete Särchen zum zweiten Mal, und zwar Brigitte Pawlik, mit der er zwei Kinder hatte.

In der gleichen Zeit begann Särchens Zusammenarbeit mit Lothar Kreyssig und dessen Aktion Sühnezeichen, in deren Leitung er später mitwirkte und mit der er einige Veranstaltungen organisierte, die erste 1962 in Magdeburg. Zwei Jahre später sollte die erste Pilgerfahrt der Aktion Sühnezeichen von Jugendlichen nach Polen stattfinden, doch konnte sie nicht organisiert werden, weil das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Ausreise nicht genehmigte. Diese Pilgerfahrt wurde allerdings ein Jahr später nachgeholt. Ziele waren die Konzentrationslager in Majdanek und Auschwitz sowie Treffen mit Vertretern von Kirche und Opposition in Krakau. Damals geriet Särchen bereits ins Fadenkreuz des MfS, das sein Interesse an Polen als staatsfeindlich betrachtete. Deshalb wurde er mehrere Male verhört und stand ständig unter Beobachtung. Seine Stasi-Akte trug den Namen „Patron“ und ließ deutlich erkennen, dass Särchen für die Machthaber als sehr problematisch eingestuft wurde. Es gab sogar Pläne, ihn zu liquidieren. Später erinnerte er sich: „Als ich meine Akte gelesen habe, bin ich zusammengebrochen. Erst da ist mir klargeworden, wie sehr ich 25 Jahre lang am Abgrund balanciert habe.“

Noch bevor Särchen seine Stasi-Akte einsehen konnte, wusste er, dass seine Versöhnungsarbeit mit Polen nicht ungefährlich war, er machte jedoch trotzdem weiter. Neben den Pilgerfahrten nach Polen begann Särchen, sogenannte Polenseminare zu organisieren. Diese fanden ab 1968 in Rossbach und Magdeburg statt und beschäftigten sich mit der Geschichte, Kultur, Literatur und Gegenwart Polens. Diese Polenseminare wurden ab 1985 nach einer Krakauer Journalistin, die sich früh für die deutsch-polnische Aussöhnung eingesetzt hatte, Anna-Morawska-Seminare genannt. 1990 entstand daraus die Anna-Morawska-Gesellschaft. Als weitere Maßnahme, um Polen in der DDR bekannter zu machen, gab er ab den 70er Jahren „Handreichungen“ im ostdeutschen Samisdat heraus, in denen auch polnische Autoren publizierten und Artikel aus polnischen Zeitschriften abgedruckt wurden. Insgesamt erschienen 55 Ausgaben dieser Hefte, die offiziell „nur für den innerkirchlichen Gebrauch“ bestimmt waren. So konnten sie der Zensur umgehen und den Lesern ein unverfälschtes Bild von Polen vermitteln. Sowohl diese Publikationen als auch die Polenseminare waren über Jahrzehnte für viele DDR-Bürger eine von wenigen unabhängigen Quellen über Polen und die polnische Gesellschaft.

Als 1981 in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde, konnte auch Särchen seine direkten persönlichen Kontakte nach Polen nicht länger aufrechterhalten, denn die DDR schloss ihre Grenzen zum östlichen Nachbarn. Dies hinderte ihn aber nicht daran, sich weiter für Polen zu engagieren. Er hielt Vorträge in der ganzen DDR und traf sich mit Menschen, die an Polen interessiert waren. Nachdem das Kriegsrecht im Juli 1983 wieder aufgehoben worden war, fuhr Särchen wieder nach Polen und machte dort weiter, wo er 1981 aufhören musste.

Obwohl sich Särchens Gesundheitszustand verschlechterte, was auch damit zusammenhing, dass er immer wieder MfS-Verhöre ertragen musste, ließ er in seiner deutsch-polnischen Versöhnungsarbeit nicht nach. Allerdings musste er sich Stück für Stück aus der konkreten Arbeit zurückziehen und diese anderen überlassen. 1987 schied er endgültig aus dem Seelsorgeamt Magdeburg aus, doch war nicht nur seine Krankheit der Grund hierfür, sondern Meinungsverschiedenheiten mit einem neuen Vorgesetzten, der Särchens Engagement für Polen nicht mehr unterstützen wollte. Auch im Ruhestand wirkte er weiter und war nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen einer der Begründer der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung im polnischen Krzyżowa (Kreisau), deren Ziel es ist, Verständigungsarbeit zwischen den Völkern zu leisten.

1990 erhielt Särchen für sein jahrzehntelanges Engagement um die deutsch-polnische Versöhnung das Kommandeurskreuz des Verdienstordens der Republik Polen und zwei Jahre später das Bundesverdienstkreuz. Dass es die niedrigste Stufe des Bundesverdienstkreuzes war, kommentierte er in einem Interview so: „Für die begutachtende westdeutsch besetzte Behörde in Magdeburg war es undenkbar, dass eine Person oder gar ein Kreis in der DDR erfolgreich für eine positive Völkerverständigung gearbeitet hat.“

In seinen letzten Lebensjahren zog sich Günter Särchen immer weiter zurück und hielt nur noch sporadisch Vorträge zum Thema Polen. Seine gesundheitlichen Probleme verschlechterten sich zusehends, und er musste immer öfter ins Krankenhaus. 2004 starb Günter Särchen in Hoyerswerda. Seit 2008 trägt eine Straße in Magdeburg ihm zu Ehren seinen Namen.

Rudolf Urban
Letzte Aktualisierung: 02/19