Schriftsteller, Publizist und Dramaturg. Mitbegründer der Charta 77 und Mitverfasser der wichtigsten Oppositionsdokumente. Führungsfigur der Samtenen Revolution und führende Persönlichkeit des Bürgerforums. Präsident der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik.

Im Oktober verfasste Havel seinen bekanntesten Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ (Originaltitel: „Moc bezmocných“ / Die Macht der Ohnmächtigen). Darin zeichnet Havel das Bild vom Niedergang des Menschen im „posttotalitären System“, von Korruption, Heuchelei und Unterdrückung. Er stellt die Frage, wer Dissidenten sind, woher sie stammen, welchen Sinn ihre Einstellung hat und wo letztendlich die Quellen der Macht der „Ohnmächtigen“ liegen könnten. Seine Antwort lautet: im Dienst an der Wahrheit, die im posttotalitären System „die Rolle eines ‚Machtfaktors‘, ja einer ‚politischen Kraft‘“ spielt. Die Aufgabe der Dissidenten sieht er darin, aus dem „Leben in Lüge“ herauszutreten und die „‚verborgene Sphäre‘ der wirklichen Intentionen des Lebens“ und „seiner ‚verborgenen Aufgeschlossenheit‘ der Wahrheit gegenüber“ auszumachen.Weiter schreibt er: „Die Konfrontation dieser ‚oppositionellen Kraft‘ mit der bestehenden Macht hat freilich eine grundsätzlich andere Form als in einer offenen Gesellschaft oder in einer ‚klassischen‘ Diktatur: Es ist ursprünglich keine Konfrontation auf der Ebene der faktischen, institutionalisierten und quantifizierbaren Macht mit Hilfe dieser oder jener direkter Machtinstrumente, sondern auf einer ganz anderen Ebene – auf der Ebene des menschlichen Bewußtseins und Gewissens, auf der existentiellen Ebene. [...] Die verborgenen Bewegungen, die sie da hervorruft, können aber – und es ist schwierig, im voraus auszurechnen, wann, wo, wie und in welchem Ausmaß – in etwas Sichtbares übergehen: In eine reale politische Tat oder ein Ereignis, in eine gesellschaftliche Bewegung, in einen plötzlichen Ausbruch der Unzufriedenheit der Bürger, in einen scharfen Konflikt innerhalb der bisher scheinbar monolithischen Machtstruktur oder einfach in einen unaufhaltsamen Wechsel des gesellschaftlichen und geistigen Klimas.“

Von November 1978 bis Februar 1979 war Havel erneut zusammen mit Ladislav Hejdánek Sprecher der Charta 77. Am 29. April wurde er zusammen mit anderen Mitgliedern des Komitees zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten im Rahmen der Staatssicherheits-Aktion „Kmen“ (Stamm) verhaftet und anschließend wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ angeklagt. Im Prozess gegen die „Gruppe Petr Uhl“ zu der Jiří Dienstbier, Otka Bednářová, Václav Benda und Dana Němcová gehörten, wurde Havel im Oktober 1979 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Er saß ab Januar 1980 im Gefängnis Heřmanice bei Ostrava und ab Juli 1981 in der Strafvollzugsanstalt Bory bei Pilsen. In Haft schrieb Havel im März 1983 den Essay „Identitätskrise“ (Krize identity). Im Januar 1983 veröffentlichte Jan Lopatka im Samisdat Auszüge aus 144 Briefen, die Havel zwischen Juni 1979 und September 1982 aus dem Gefängnis an seine Frau geschrieben hatte („Briefe an Olga“/Dopisy Olze). Da Havel im Januar 1983 an einer schweren Lungenentzündung erkrankte, wurde er in das Gefängniskrankenhaus nach Prag gebracht. Anfang Februar wurde seine Strafe ausgesetzt und er konnte sich im Krankenhaus „Pod Petřínem“ behandeln lassen.

Auch in den folgenden Jahren arbeitete Havel wieder für die Charta 77 und schrieb weitere Theaterstücke: „Largo desolato“ (1984), „Versuchung“ (Pokušení; 1985), „Sanierung“ (Asanace; 1987); außerdem Essays: „Politik und Gewissen“ (Politika a svědomí; 1984), „Über den Sinn der Charta 77“ (O smyslu Charty 77; 1986) und viele weitere Texte. Im August 1987 nahm Havel am nächsten Treffen mit der polnischen Opposition an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze teil. Am 3. September 1988 trat er nach 19-jähriger Pause erstmals öffentlich auf dem Folk-Festival in Lipnice auf. Er beteiligte sich auch an der Vorbereitung des Manifestes „Demokratie für alle“ (Demokracie pro všechny) der Bewegung für Bürgerfreiheit (Hnutí za občanskou svobodu; HOS), welches im Oktober 1988 veröffentlicht wurde.

Havel war eines der Gründungsmitglieder des Tschechoslowakischen Helsinki-Komitees, das am 5. November 1988 entstand. Außerdem übernahm er den Vorsitz des Organisationskomitees für das Symposium „Tschechoslowakei 1988“, das bereits am 11. November 1988, dem ersten Sitzungstag, durch die Sicherheitsorgane aufgelöst wurde. Havel wurde für mehre Tage inhaftiert.

Am 16. Januar 1989, dem Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach, wurde Havel erneut inhaftiert, als er zusammen mit anderen Oppositionellen Blumen für Palach an der Prager Wenzel-Statue niederlegte. Am 21. Februar erfolgte das Urteil wegen „Anstiftung und Behinderung der Dienstausübung eines Mitarbeiters der staatlichen Gewalt“: neun Monate Gefängnis. Ein Berufungsgericht revidierte zwar das erste Urteil, verkürzte das Strafmaß jedoch nur um vier Wochen. Im Mai wurde die verbleibende Haft auf Bewährung für 18 Monate ausgesetzt. Im Juni schrieb Havel den Essay „Ein Wort über das Wort“ (Slovo o slovu) und war Mitautor der Erklärung „Einige Sätze“ (Několik vět), die am 29. Juni veröffentlicht und während des Sommers von mehreren tausend Bürgern unterzeichnet wurde. Von September bis November 1989 vertrat er Saša Vondra als Sprecher der Charta 77, nachdem dieser verhaftet worden war.

Zwei Tage, nachdem in Prag die friedliche Studentendemonstration am 17. November 1989 brutal auseinandergetrieben wurde, gründete sich im „Činoherní klub“ (Schauspielklub) das Bürgerforum (Občanské fórum; OF), das alle Persönlichkeiten vereinigte, die einen grundlegenden politischen Wandel in der Tschechoslowakei unterstützten. Das Bürgerforum war gemeinsam mit der Öffentlichkeit gegen Gewalt (Verejnosť proti násiliu; VPN) im slowakischen Landesteil die treibende Kraft in der Samtenen Revolution.

Václav Havel war als bekanntester Vertreter der Opposition auch Gesicht und Symbolfigur des Umsturzes vom Herbst 1989. Als das kommunistische Regime im November unter den Massendemonstrationen im ganzen Land innerhalb weniger Tage zusammenbrach, forderten die Menschen nicht nur Demokratie und Freiheit, zunehmend erklang auch der Ruf „Havel auf die Burg!“ – gemeint war der Sitz der Staatsführung auf dem Prager Hradschin. Am 29. Dezember 1989 wählte das Parlament, die Föderalversammlung, den noch Anfang des Jahres inhaftierten Regimegegner und Dissidenten Václav Havel zum Präsidenten der Tschechoslowakei. In seiner Antrittsrede kündigte er freie Wahlen an, die im Juni 1990 stattfanden. Die nunmehr frei gewählte Föderalversammlung bestätigte Havel im Amt des Staatspräsidenten. Zwei Jahre später, am 20. Juli 1992, trat er aus Protest gehen die Teilung der tschechoslowakischen Föderation von diesem Amt zurück, was die Teilung des Landes jedoch nicht aufhalten konnte. Am 26. Januar 1993 wurde Havel durch die Abgeordnetenkammer, das Tschechische Parlament, zum ersten Präsidenten der nunmehr eigenständigen Tschechischen Republik gewählt, was er bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Februar 2003 blieb.

Am 18. Dezember 2011 starb Václav Havel auf seinem Landsitz im nordböhmischen Hrádeček.

Luboš Veselý
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 06/15