Dichter und Literaturkritiker. Bedeutender Vertreter der tschechischen Gegenkultur. Pseudonym: „Magor“.

Ivan Martin Jirous wurde 1944 in Humpolec geboren, 1962 schloss er die Oberschule ab. Er arbeitete als Heizer in einer Druckerei und anschließend auf dem Bau eines Holzkombinates. Zwischen 1961 und 1964 vervielfältigte er unter anderem die damals unzugänglichen Werke von Franz Kafka, Vladimír Holan, Gabriel Marcel. In seiner auf der Schreibmaschine getippten Reihe „Opsáno na Brancourově“ (Abgeschrieben in Brancourov) erschienen über 20 Titel, jeder in einer Auflage von zehn Stück. Ab 1963 studierte Jirous Kunstgeschichte an der Prager Karls-Universität. Das Studium schloss er 1969 mit einer Diplomarbeit über die visuelle Poesie von Henri Michaux und Jiří Kolář ab.

Noch während des Studiums wurde Jirous Mitarbeiter der Zeitschrift des Verbandes der bildenden Künstler „Výtvarná práce“ (Schöpferische Arbeit) und lernte Mitglieder der Musikband „The Primitives Group“ kennen, mit denen er gemeinsam Konzerte organisierte. Nach dem Zerfall der Gruppe wurde Ivan Martin Jirous künstlerischer Leiter der Unterground-Band „Plastic People of the Universe“, mit der er auch noch in späteren Jahren Kontakt hielt, als er schon der wichtigste Kopf der alternativen Kunstszene war. Als Anfang 1971 „Výtvarná práce“ und viele andere vergleichbare Kulturzeitschriften eingestellt wurden, arbeitete er als Nachtwächter in der Nationalgalerie und als Holzfäller.

Im Juli 1973 wurde Ivan Martin Jirous zusammen mit Eugen Brickus, Jirí Daníček und Jaroslav Kořán verhaftet und wegen angeblichen „Vandalismus“ zu zehn Monaten Haft verurteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis Nové Sedlo bei Louny organisierte er eine Reihe von alternativen Kunstveranstaltungen, unter anderem das Erste Festival für unabhängige Kunst in der ČSSR, welches im September 1974 in Postupice stattfand. Während dieser Zeit arbeitete er gemeinsam mit Vratislav Brabenec, dem Saxophonisten der Plastic People, an der Erneuerung des Parks in Měšice in der Nähe von Prag. Im Juli 1975 schrieb Jirous dort einen Text über die Ursprünge und die gegenwärtige Entwicklung der unabhängigen Kultur mit dem Titel „Bericht über die dritte tschechische musikalische Wiedergeburt“ (Zpráva o třetím českém hudebním obrození). Im selben Jahr erschien sein erster Gedichtband im Samisdat: „Magors Morgengesang“ (Magorův ranní zpěv), außerdem gab er zwei Textanthologien heraus: „Egon Bondy zum 45. Geburtstag“ (Egonu Bondymu k 45. narozeninám) und „Ingenieur Petr Lampl zum 45. Geburtstag“ (Ing. Petru Lamplovi k 45. narozeninám).

Im Februar 1976 organisierte Jirous in Bojanovice bei Prag das Zweite Festival für unabhängige Kunst. Einen Monat später wurden 19 Musiker und Sympathisanten der „Plastic People“ und der Gruppe „DG 307“ verhaftet und Strafverfahren gegen sie eingeleitet. Noch vor seiner Verhaftung hatte Jirous mit Václav Havel vereinbart, Informationen über den Prozess zu veröffentlichen. Im September 1976 wurde Jirous erneut wegen vermeintlichen „Vandalismus“ zu 18 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Das Strafmaß für die Musiker Vratislav Brabenec, Svatopluk Karásek und Pavel Zajíček fiel geringer aus.

Die öffentliche Verteidigung der Musiker der „Plastic People of the Universe“ war der unmittelbare Impuls für die Entstehung der Charta 77. Bis September 1977 war Ivan Martin Jirous in der Strafanstalt für besonders gefährliche Straftäter in der Festung Mírov inhaftiert. Nach seiner Freilassung unterzeichnete er die Charta 77. Kurze Zeit später wurde er nach einer improvisierten Rede anlässlich einer Ausstellung mit Arbeiten von Jiří Lacina erneut inhaftiert und wegen „Vandalismus“ zunächst für acht und nach einem Berufungsverfahren zu 18 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Nach der Rückkehr aus der Haft im April 1979 verfasste Jirous den Hauptteil des Textes „Die wahre Geschichte der Plastic People“ (Pravdivý příběh Plastic People). Im Samisdat gab er die Anthologien „Magorova krabička“ (Magors Schachtel; 1979), „Mládí nevykouřené“ (in etwa „Nichtumnebelte Jugend“; 1980), „Magorovo borágo“ (Magors Borago; 1981) sowie „Magorova mystická růže“ (Magors mystische Rose; 1981) heraus. Er veröffentlichte seine Arbeiten vor allem in der Zeitschrift „Vokno“ (Fenster).

Aufgrund seiner intensiven schriftstellerischen Tätigkeit, die einen bedeutenden Einfluss auf viele jüngere nonkonformistische Leser hatte, wurde Jirous im Herbst 1981 zusammen mit František Stárek, Michal Hýbek und Milan Frič ein weiteres Mal verhaftet und im Juli 1982 erneut wegen „Vandalismus“ zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Zusätzlich wurde er zwei weitere Jahre lang präventiv unter Polizeiaufsicht gestellt. Im Gefängnis in Valdice arbeitete Jirous ab Oktober 1982 an dem Gedichtband „Magors Schwanengesänge“ (Magorovy labutí písně; 1984), der von Jiří Gruntorád aus dem Gefängnis geschmuggelt und im Samisdat herausgegeben wurde. Ivan Jirous wurde im Mai 1985 aus dem Gefängnis entlassen. Noch im gleichen Jahr erschien im Samisdat sein Gedichtband „Polizeiaufsicht“ (Ochranný dohled), ein Jahr später die Lyrik- und Märchensammlung „Magor für Kinder“ (Magor dětem) und 1987 die Bände „Magors Vögel“ (Magorovi ptáci) sowie „Magors Jerusalem“ (Magorův Jeruzalém). Artikel, Rezensionen und Polemiken veröffentlichte Jirous vor allem in den Zeitschriften „Vokno“, „Revolver Revue“, „Jazzstop“ und „Obsah“ (Inhalt). Seine Arbeiten erschienen auch in Exilzeitschriften, vor allem in „Svědectví“ (Zeugnis) sowie in der in Wien erscheinenden Zeitschrift für Alternativkultur „Paternoster“.

Im Oktober 1988 wurden gegen Ivan Martin Jirous und Jiří Tichý Strafverfahren wegen des „Angriffs auf ein Staatsorgan und eine gesellschaftliche Organisation“ eröffnet. Dahinter verbarg sich die Unterschriftensammlung für eine Petition zu den kommunistischen Verbrechen der 50er Jahre und zum Tod von Pavel Wonka, der im April 1988 in Haft ums Leben gekommen war. Im März 1989 wurde Jirous wegen „Hetze“ zu 16 Monaten Freiheitsentzug verurteilt und am 25. November freigelassen, als in den Straßen der tschechoslowakischen Städte zehntausende Menschen protestierten und der Sturz des kommunistischen Regimes schon unumkehrbar war.

Nach der Samtenen Revolution lebte Jirous in Prag und organisierte jeden Sommer in Prostřední Vydří (Mitterwiedern) auf den böhmisch-mährischen Höhen ein Untergrund-Festival. Seine in den 90er Jahren entstandene Prosa und Publizistik erschien in dem Band „Magors Notizen“ (Magorův zápisník; 1997), seine Lyrik in der Gedichtsammlung „Magors Summe“ (Magorova summa; 1998). 1996 wurde Jirous mit dem Jaroslav-Seifert-Preis, der bedeutendsten literarischen Auszeichnung Tschechiens, geehrt.

Ivan Martin Jirous starb 2011 in Prag.

Luboš Veselý
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 06/15