Šimečka verließ das Gefängnis in schlechtem Gesundheitszustand. In den Folgejahren bis 1989 lebte er von dem, was ihm seine Veröffentlichungen im Ausland einbrachten. Eine Auswahl der Korrespondenz mit der Familie veröffentlichte sein Sohn Martin 1984 im Samisdatverlag Edice Petlice unter dem Titel „Signalzeichen“ (Světelné znamení). Nach seiner Haftentlassung schrieb er die „Briefe über die Beschaffenheit der Wirklichkeit“ (Dopisy o povaze skutečnosti; erschienen 1992) als einzige strikt philosophische Arbeit, die er in Form von an seine Söhne adressierte Briefe verfasste. Darin brachte er zum Ausdruck, dass für ihn nur die eigene individuelle Erfahrung unmittelbar erfahrbar ist. Auf sie solle sich der Mensch bei seiner Erkenntnisanstrengung konzentrieren. Das Übrige könne man sich nur durch Vermutungen erschließen, wobei Schlussfolgerungen höhere oder geringere Wahrscheinlichkeiten zukämen.

1984 fand Šimečka weltweit Beachtung mit seinem Essay „Unser Kamerad Winston Smith“ (Náš súdruh Winston Smith), der George Orwells „1984“ zum Gegenstand hat. Šimečka konfrontierte in seinem Text die Welt der dystopischen Erzählung mit der Wirklichkeit des Realsozialismus.

Zusammen mit Miroslav Kusý verfasste er im gleichen Jahr das Buch „Europäische Erfahrungen mit dem Realsozialismus“ (Európska skúšenosť s reálnym socializmom). Sein Beitrag „Verlust der Wirklichkeit“ (Ztrata skutečnosti) umfasste eine Auswahl an Überlegungen und politischen Essays, in denen er seine Kritik an jeglichen utopischen Konzepten aus den 60er Jahren weiterentwickelte und eine Analyse des utopischen Denkens anfügte, die ihn allen gesellschaftlichen Doktrinen gegenüber skeptisch sein ließ. In anderen Essays verfolgte Šimečka die Entwicklung der marxistischen Theorie und ihre Umsetzung in der politischen Wirklichkeit. In seinen Arbeiten „Vom Westen in den Osten“ (Ze zádpadu na východ) und „Russische Ideologie“ (Ruská ideologie) analysierte er am russischen Beispiel die Weiterentwicklung des Marxismus. In „Marktplatz der Diktaturen“ (Tržiště diktatur) beschäftigte er sich mit der Entstehung von totalitären Regimen in Europa. Diese Entwicklung sah er als eine Folge der Haltung der Gesellschaft und der Intellektuellen, die den demokratischen Institutionen vorgeworfen hatten, nicht effektiv genug zu sein und daher bereit gewesen waren, den Diktaturen den Vorrang zu geben, um dem Prinzip Gleichheit auf sozialem Gebiet Geltung zu verschaffen.

In weiteren Aufsätzen analysierte er den Kommunismus selbst und stellte fest, „dass das durch Stalin geschaffene gesellschaftlich-ökonomische System zur dauerhaften Grundlage des real existierenden Sozialismus wurde.“ Er ging ähnlich wie die Mehrheit der ostmitteleuropäischen Historiker und Politologen von einer Kontinuität der einzelnen Epochen in der Geschichte der kommunistischen Regime aus. Sein Essay „Konfrontation“ (Konfrontace) stellte die Politik des Kalten Krieges in Frage. Šimečka sah in der Auseinandersetzung ein Beispiel für die Niederlage des gesunden Menschenverstandes, die dazu führe, dass Kräfte und Produktionsmittel verschwendet würden. Seiner Meinung nach verhielte sich die Sowjetunion in diesem Konflikt defensiv. Der Einmarsch in die Tschechoslowakei oder in Afghanistan sei in der Angst begründet gewesen, dass die Sowjetunion vom inneren Zerfall, wirtschaftlichen Zusammenbruch, von gesellschaftlicher Unzufriedenheit oder einer Niederlage im Systemwettbewerb mit dem Westen bedroht sei.

Im Samisdat gab er 1985 „Rundumverteidigung“ (Kruhová obrana), eine Sammlung feuilletonistischer Artikel, heraus. In ihnen analysierte er das individuelle Schicksal von Menschen, deren Leben durch ideologisch gerechtfertigte Eingriffe zerstört wurden, was in der Konsequenz zum Verlust ihrer Identität und Individualität führte. Wie eine Mehrheit der damaligen Politikwissenschaftler ging er davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung am politischen Leben teilnehme. Demokratien und Diktaturen verdankten ihre Existenz einer schweigenden Mehrheit. Indem er die Regime beschrieb, die eine totale Kontrolle über den einzelnen Menschen anstrebten, analysierte er eine weitere Seite des Realsozialismus, die er als „das Streben dieser Systeme des östlichen Europas, die Geschichte anzuhalten“ und die Bürger dazu zu bringen zu glauben, dass sie nur in einem Reich der „kleinen Geschichte“ lebten, charakterisierte.

Nicht zuletzt analysierte Šimečka auch den Prozess, der Manipulation historischer Erinnerungen durch die kommunistischen Regime: Die Regime entpersonalisierten die Geschichte, sodass die Vergangenheit zu einem abstrakten Prozess reduziert werde, ähnlich einer „Pyramide, die von anonymen Baumeistern erbaut wurde […], was im Vorhinein die Frage ausschließt, ob die Steine nicht in einer anderen Reihenfolge hätten gelegt werden können, und vor allem, ob das ganze Unterfangen Sinn macht.“ Auf der Suche nach den Gründen für die Stabilität des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei stieß er auf die schweigende Mehrheit, das fehlende gesellschaftliche Engagement in der Politik und den allgegenwärtigen Stillstand.

Die Perestroika in Russland und die zunehmende Aktivität in der tschechoslowakischen Gesellschaft beschäftigten Šimečka im Jahr 1988 sehr. Seine Überlegungen hierzu veröffentlichte er 1989 in „Das Ende der Bewegungslosigkeit“ (Konec nehybnosti). Nach der Samtenen Revolution 1989 publizierte er in Zeitschriften politikwissenschaftliche Texte. 1990 war er für mehrere Monate Abgeordneter im Slowakischen Nationalrat und im Frühjahr 1990 außenpolitischer Berater im Stab von Präsident Václav Havel.

Milan Šimečka starb 1990 in Prag an einem Herzinfarkt.

Juraj Marušiak
Aus dem Polnischen von Jonas Grygier
Letzte Aktualisierung: 08/15