Russland

Wladimir Bukowski

Wladimir Bukowski, 1942–2019

Vladimir Konstantinovič Bukovskij

Владимир Константинович Буковский

Biologe, Menschenrechtler, Publizist und politischer Aktivist. Er gehörte zu den bekanntesten politischen Häftlingen in den 70er Jahren und machte die Zwangspsychiatrisierung von Andersdenkenden bekannt. Mitautor des „Handbuchs der Psychiatrie für Dissidenten“.

Wladimir Bukowski wurde 1942 in Belebei in Baschkirien als Sohn des sowjetischen Schriftstellers und Journalisten Konstantin Bukowski geboren. Er wuchs bei seiner Mutter auf und ging in Moskau zur Schule, wohin die Familie nach der Kriegsevakuierung zurückgekehrt war. Seit seinem 14. Lebensjahr betrachtete er sich als Gegner des Kommunismus. 1959 wurde er für die Herausgabe der handgeschriebenen Zeitung „M-učenik“ (ein Wortspiel aus „učenik“ – Schüler und „mučenik“ – Märtyrer) von der Schule verwiesen. Aufgrund dieses Vorkommnisses wurde auch der Direktor der Schule entlassen.

1960 organisierte Bukowski gemeinsam mit Juri Galanskow, Eduard Kusnezow und anderen regelmäßige Dichterlesungen auf dem Majakowski-Platz im Zentrum von Moskau. Im Frühjahr 1961 führte der KGB als Warnung ein Gespräch mit ihm. Im Herbst desselben Jahres fanden bei Bukowski und den aktivsten Teilnehmern der Dichtertreffen Hausdurchsuchungen statt. Bei einer dieser Durchsuchungen wurde ein Text von ihm beschlagnahmt, in dem er zur Demokratisierung des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol aufrief. Diesen Text stufte einer seiner Untersuchungsrichter später als „Thesen zur Zersetzung des Komsomol“ ein.

Bukowski beendete die Abendschule und begann ein Biologiestudium an der Moskauer Universität. Er wurde jedoch nicht zu den Prüfungen zugelassen und 1961 von der Universität verwiesen. Als 1962 im Zusammenhang mit den Prozessen gegen Wladimir Ossipow, Eduard Kusnezow und Ilja Bokstejn die Gefahr bestand, dass auch gegen Bukowski ein Strafverfahren eröffnet werden würde, fuhr dieser auf eine geologische Expedition nach Sibirien, wo er ein halbes Jahr lang blieb.

Während seiner Suche nach einem eigenen Weg des Widerstandes gegen das sowjetische Regime in der ersten Hälfte der 60er Jahre zog Bukowski verschiedene Methoden des Kampfes in Erwägung, darunter auch die Konspiration. Am Ende gab er jedoch dem öffentlichen Widerstand den Vorrang. Ungeachtet dessen beschuldigte ihn die sowjetische Presse, Untergrundgruppen organisiert zu haben.

Im Mai 1963 fertigte Bukowski mehrere Abzüge des Buches „Die neue Klasse“ von Milovan Đilas an. Diese Fotokopien konfiszierte der KGB bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung. Nach seiner daraufhin erfolgten Verhaftung wurde Bukowski mit der Pseudo-Diagnose „paranoider Wahn“ in ein sogenanntes psychiatrisches Krankenhaus besonderen Typs gesperrt. Dort lernte er Pjotr Grigorenko kennen. Nach knapp zwei Jahren wurde Bukowski im Februar 1965 entlassen.

Ende 1965 wurde Bukowski erneut in die Psychiatrie gesperrt, diesmal wegen der Beteiligung an der Vorbereitung der Glasnost-Kundgebung, die zur Unterstützung von Andrei Sinjawski und Juli Daniel organisiert worden war. Im Juli 1966 kam er dank der Bemühungen einer Delegation von Amnesty International, die sich zur dieser Zeit in Moskau aufgehalten hatte, wieder frei.

Bukowski war einer der Organisatoren der am 22. Januar 1967 stattfindenden Demonstration auf dem Puschkin-Platz in Moskau. Vier Tage nach der Demonstration wurde er verhaftet. Der Prozess gegen ihn, Wadim Delone und Jewgeni Kuschew fand vom 30. August bis 1. September 1967 statt. Bukowski bekannte sich nicht schuldig und seine letzten Worte als Angeklagter fanden im Samisdat schnell Verbreitung. Er wurde nach Artikel 190, Absatz 3 des Strafgesetzbuches der RSFSR zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach der Verbüßung der Strafe in einem Lager für Kriminelle kehrte Bukowski im Januar 1970 nach Moskau zurück. Da ihn kein Betrieb anstellen wollte, arbeitete er als „literarischer Sekretär“ für die Dichterin Rachel Baumwol, der Mutter von Julius Telesin. Nach deren Ausreise nach Israel war er für Wladimir Maximow tätig, um so strafrechtliche Konsequenzen bei Nichtbeschäftigung wegen sogenannten „Schmarotzertums“ zu vermeiden.

Bereits kurz nach seiner Freilassung aus dem Lager hatte Bukowski ausländischen Korrespondenten mehrere Interviews gegeben und von politischen Gefangenen, die psychiatrischen Repressionen ausgesetzt waren, berichtet. Auf diese Weise gelangte das Thema Zwangspsychiatrisierung an die Öffentlichkeit. Bukowski wurde daraufhin von der Staatsanwaltschaft vorgeladen und gewarnt, dass er vor Gericht gestellt werden würde, wenn er nicht aufhöre, Informationen über Menschenrechtsverletzungen an das Ausland weiterzugeben. Zugleich wurde er demonstrativ beschattet. Ungeachtet dessen setzte Bukowski seine Informationssammlung über den Psychiatriemissbrauch gegen Dissidenten fort und veröffentlichte sie im Westen.

Anfang 1971 richtete er einen offenen Brief an ausländische Psychiater, dem er Kopien der gerichtspsychiatrischen Gutachten von Pjotr Grigorenko, Natalja Gorbanewskaja, Waleria Nowodworskaja und anderen beifügte. Zeitgleich stellte er eine Dokumentensammlung über die politische Psychiatrie in der UdSSR zusammen, die auch Materialien über Personen enthielt, die für unzurechnungsfähig erklärt worden waren.

Die Dokumentensammlung wurde im Ausland herausgegeben und löste dort ein starkes Echo aus. Auf die Publikationen im Westen reagierte der stellvertretende KGB-Chef Simejon Tschwigun in einem Artikel der Zeitschrift „Političeskoe samoobrazovanie“ (Politisches Selbststudium; Nr. 2/1971): Dort behauptete er, dass der Vorwurf des Psychiatriemissbrauches im Strafvollzug jeder Grundlage entbehre und Personen, die derartige Behauptungen im Westen tätigten, Verleumder im Auftrag ausländischer Geheimdienste seien.

Im März 1971 wurde Bukowski das vierte Mal verhaftet. Vor seiner Festnahme erschien in der „Pravda“ noch der Artikel „Niščeta antikommunizma“ (Das Elend des Antikommunismus), in dem Bukowski als notorischer Rowdy dargestellt wurde, der antisowjetische Machenschaften verfolge.

Bukowskis Prozess fand im Januar 1972 statt. Er wurde für die Verbreitung antisowjetischen Materials und dessen Verbringung ins Ausland angeklagt. Die Dokumente hätten, so die Anklage, die verleumderische Unterstellung enthalten, dass in der UdSSR gesunde Menschen in geschlossene psychiatrische Kliniken eingesperrt würden. Bukowski bemühte sich im Vorfeld darum, dass ihn die Rechtsanwältin Dina Kaminskaja verteidigen könne, diese Bitte wurde jedoch abgelehnt.

In seiner letzten Aussage, in der Bukowski auf zahlreiche Fehler sowohl im Untersuchungsverfahren als auch im Prozessverlauf hinwies, versicherte er, dass sein Handeln nicht antisowjetisch gewesen sei: „Indem er mich verurteilt, verfolgt der Staat das Ziel, seine eigenen Verbrechen – die Psychiatrisierung von Andersdenkenden – zu vertuschen. […] Ich werde weiter um Recht und Gerechtigkeit kämpfen. Ich bedauere nur, dass ich in der kurzen Zeit von einem Jahr, zwei Monaten und drei Tagen, die ich in Freiheit war, zu wenig für dieses Ziel erreichen konnte.“

Das Moskauer Stadtgericht verurteilte Bukowski nach Absatz 1 von Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR zu sieben Jahren Lagerhaft, von denen die ersten zwei im Gefängnis zu verbüßen seien sowie anschließend zu fünf weiteren Jahren Verbannung.

Die Prozesse gegen Bukowskis verursachten ein starkes öffentliches Echo. Die Dokumentation des ersten Prozesses wurde im Samisdat in der Dokumentensammlung „Delo o demonstracii 22 janvarja 1967 goda“ (Der Fall der Demonstration vom 22. Januar 1967) veröffentlicht, die von Pawel Litwinow zusammengestellt worden war. Zur Verteidigung Bukowskis setzten sich mehrfach die Initiativgruppe zur Verteidigung der Menschenrechte in der UdSSR, Andrei Sacharow und später auch die Moskauer Helsinki-Gruppe ein.

Seine Strafe saß Bukowski erst im Wladimir-Gefängnis und danach in den Permer Lagern ab. Dort verfasste er zusammen mit seinem Mithäftling Semjon Glusman, einem Psychiater, das „Handbuch der Psychiatriehandbuch für Dissidenten“ (Posobie po psichiatrii dla inakomyslaščich) als Unterstützung für Personen, die in Gefahr standen, von den Behörden entmündigt zu werden. 1974 wurde Bukowski wegen Hungerstreiks, Konflikten mit der Gefängnisadministration und wegen „notorischer Verstöße gegen die Lagerordnung“ zurück ins Wladimir-Gefängnis verlegt.

Die internationale Kampagne zu seiner Verteidigung nahm unterdessen ungewöhnliche Ausmaße an. Bukowski wurde zu einem der bekanntesten Dissidenten im Westen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei seine Mutter Nina Bukowskaja, die sich kontinuierlich und mit Nachdruck an politische Führungspersönlichkeiten und gesellschaftliche Aktivisten im Westen wandte.

Am 18. Dezember 1976 wurde Bukowski gefesselt, auf den Moskauer Flughafen verbracht und in die Schweiz abgeschoben. Dies war das Resultat komplizierter diplomatischer Verhandlungen und eines Austausches, in dem der chilenische Kommunistenchef Luis Corvalan, der während des Putsches von General Pinochet verhaftet worden war, freigelassen und in die Sowjetunion gebracht wurde.

Kurz nach seiner Abschiebung aus der Sowjetunion wurde Bukowski im Weißen Haus von US-Präsident Jimmy Carter empfangen. Bukowski lebte später in England, wo er in Cambridge die Universität abschloss und ein Experte auf dem Gebiet der Neurophysiologie wurde. Er schrieb seine Erinnerungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden und war Redaktionsmitglied der Pariser Exilzeitschrift „Kontinent“.

Auch im Westen nahm er an Kampagnen zur Verteidigung der Menschenrechte teil und war einer der Organisatoren des Boykotts der Olympischen Spiele 1980 in Moskau. 1983 entstand in Paris die Organisation „Internationale des Widerstands“(Internacional soprotivlenija), die zur Koordinierung der Zusammenarbeit von Emigrantengruppen gegründet wurde. Ihr Präsident war Bukowski, Vorsitzender Eduard Kusnezow und geschäftsführender Direktor Wladimir Maximow.

Von 1983 bis 1988 setzte sich Bukowski für die Befreiung sowjetischer Soldaten ein, die von afghanischen Mudschaheddin als Geiseln genommen wurden.

Nach dem Ende des Kommunismus trat Bukowski 1992 als Zeuge im Prozess gegen die KPdSU vor dem Russischen Verfassungsgericht auf. Bei den Vorbereitungen zu diesem Prozess erhielt er Zugang zu geheimen KPdSU-Akten aus dem Archiv des russischen Präsidenten, auf deren Grundlage er das Buch „Der Moskauer Prozess“(Moskovski process) verfasste. 2008 wollte er für das Amt des russischen Staatspräsidenten zu kandidieren, wurde aufgrund fehlender formaler Vorraussetzungen jedoch nicht zur Wahl zugelassen,

Wladimir Bukowski starb am 27. Oktober 2019 nach schwerer Krankheit in England.

Nikolai Mitrochin
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 03/16