Alexander Solschenizyn

Alexander Solschenizyn, 1918–2008

Aleksandr Isaevič Solženicyn

Александр Исаевич Солженицын

Schriftsteller, Publizist und Vordenker der christlich-nationalen Bewegung. Autor von „Archipel Gulag“ und Mitverfasser des Essaybandes „Stimmen aus dem Untergrund“. Gründer des Hilfsfonds für politische Häftlinge und ihre Familien.

Alexander Solschenizyn kam 1918 im nordkaukasischen Kislowodsk als Kind studierter Eltern zur Welt, deren Vorfahren noch Bauern gewesen waren. Sein Vater starb bei einem Jagdunfall ein halbes Jahr vor der Geburt seines Sohnes. Seine Mutter zog 1924 mit ihm nach Rostow am Don, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte.

1941 beendete Solschenizyn sein Studium der Mathematik und Physik an der Universität in Rostow. Parallel dazu hatte er am Moskauer Institut für Geschichte, Philosophie und Literatur noch ein Fernstudium absolviert. Zu dieser Zeit war er bekennender Kommunist, unternahm erste literarische Versuche und beschäftigte sich mit Entwürfen für ein Romanepos über den Ersten Weltkrieg und die Oktoberrevolution.

Im Oktober 1941 wurde Alexander Solschenizyn zur Roten Armee eingezogen. Im Zweiten Weltkrieg war er ab Dezember 1942 im Fronteinsatz, führte eine Artillerieeinheit und wurde 1944 zum Hauptmann befördert. Er war unter anderem am Kursker Bogen und in Ostpreußen im Einsatz, wofür er mit dem Orden des Vaterländischen Krieges zweiten Grades, mit dem Orden des Roten Sterns und mit zwei weiteren Ehrungen ausgezeichnet wurde.

Am 9. Februar 1941 wurde Solschenizyn aufgrund eines Briefwechsels mit seinem Schulfreund, dem Offizier Nikolai Witkewitsch, verhaftet. In den Briefen hatten sie Stalin kritisiert und darüber diskutiert, nach dem Krieg eine Organisation für die Erneuerung des Leninismus zu gründen. Am 7. Juli 1945 wurde Solschenizyn nach Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch der RSFSR sowie nach Paragraf 11 desselben Artikels (siehe Artikel 72 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt.

Seine Strafe verbüßte er in Straflagern in der Nähe von Moskau und später in einem Spezialgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Dieses Lager war zugleich ein Konstruktionsbüro, in dem inhaftierte Wissenschaftler und Ingenieure staatliche Aufträge erfüllen mussten. Die letzten drei Jahre seiner Haft verbrachte Solschenizyn im Lagerkomplex „Steplag“ in Kasachstan.

Nach seiner Entlassung im März 1953 wurde Solschenizyn lebenslänglich in das Dorf Birlik im Gebiet Schambyl in der Kasachischen Sowjetrepublik verbannt. Dort war er Schullehrer für Mathematik und Physik.

Sowohl seine in Gefängnissen, Lagern und Verbannung verbrachten Jahre als auch Hunderte Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Anschauungen und Lebensschicksale trugen dazu bei, dass sich Solschenizyn von seinen früheren Ansichten entfernte. Er gab den Leninismus auf, wurde überzeugter Antikommunist und gelangte zu der Überzeugung, dass die Oktoberrevolution die größte Tragödie der russischen Geschichte gewesen sei. Heimlich setzte er seine intensive literarische Arbeit fort, die er bereits während seiner Inhaftierung wiederaufgenommen hatte.

Nach der Entlassung aus der Verbannung im Sommer 1956 zog Solschenizyn nach Zentralrussland. Im Februar 1957 wurde er rehabilitiert. Fast ein Jahr lang arbeitete er als Lehrer im Kreis Kurlowo im Gebiet Wladimir östlich von Moskau, ab Juni 1957 lebte er dann in Rjasan und unterrichtete Astronomie an einer Schule. Seine heimlich verfassten Texte zeigte er nur den engsten Freunden. Auf Zureden des Schriftstellers Lew Kopelew, seinem ehemaligen Mithäftling im Staatssicherheits-Gefängnis, schickte er im Oktober 1961 seine 1959 entstandene Erzählung „ŠČ-854“ an die Zeitschrift „Novyj Mir“. Im Oktober 1962 wurde sie als erstes bedeutendes Werk der sowjetischen Literatur über die sowjetischen Straflager unter dem Titel „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ (Odin den‘ Ivana Denisoviča) veröffentlicht. Solschenizyn wurde damit umgehend im In- und Ausland bekannt.

Bereits im Dezember 1962 wurde er in den sowjetischen Schriftstellerverband aufgenommen. Auf einem Treffen der Parteiführung mit Schriftstellern bezeichnete Parteichef Nikita Chruschtschow das Buch als „Vorbild parteilicher Wahrheit“. Chruschtschow hatte persönlich veranlasst, die Erzählung von der Zensur auszunehmen. „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ wurde für den Leninpreis vorgeschlagen.

Solschenizyns Werke wurden als Zeichen für die Erneuerung der russischen Literatur gewertet. Die Veröffentlichung seiner Erzählungen „Matrjonas Hof“ (Matrënin dvor) und „Zwischenfall auf dem Bahnhof Kretschetowka“ (Slučaj na stancii Krečetovka) in der Zeitschrift „Novyj Mir“ bekräftigte seine Stellung als moderner Klassiker, den einige sogar als Nachfolger von Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski ansahen.

Zeitgleich begannen Reformgegner im Partei- und Staatsapparat Hand in Hand mit linientreuen Schriftstellern Solschenizyn anzugreifen. Auf geschlossenen Parteiversammlungen wurden Gerüchte in Umlauf gebracht, Solschenizyn sei wegen Hochverrates verurteilt und nur durch einen Irrtum rehabilitiert worden. Außerdem gelang es seinen Gegnern zu verhindern, dass er den Leninorden erhielt. Solschenizyns Werke, die 1963 und 1964 zur Veröffentlichung vorgeschlagen worden waren, lehnte die Zensur nun ab. Nach dem Sturz Chruschtschows verstärkte sich die Hetzkampagne gegen Solschenizyn immer mehr; der KGB begann, ihn zu überwachen.

Ein Wendepunkt in Solschenizyns Leben wurde der 11. September 1965, als der KGB jenen Teil seiner geheimen Manuskriptsammlung beschlagnahmte, der bei Wenjamin Teusch aufbewahrt worden war. Darunter waren dramatische Werke und Gedichte aus der Zeit der Gefangenschaft, die bisher nicht für den Druck vorgesehen gewesen waren. Von dem Stück „Das Bankett der Sieger“ (Pir pobeditelej), in dem es um die letzten zwei Monate des Zweiten Weltkrieges ging, setzte der KGB die Präsidiumsmitglieder des Zentralkomitees in Kenntnis. Später wurde dieser Text immer wieder benutzt, um Solschenizyn zu verleumden. Nahezu die gesamte Staats- und Parteiführung sah sich nun in der Überzeugung bestätigt, dass es sich bei Solschenizyn um einen heimlichen und kompromisslosen Feind der sowjetischen Ordnung handele. Die Veröffentlichung seiner Werke wurde verboten, als Letztes konnte 1966 offiziell die Erzählung „Sachar-Kalita“ in der Zeitschrift „Novyj Mir“ erscheinen.

Damit war Solschenizyns Schriftstellerkarriere beendet. Im Verlauf der kommenden zwei bis drei Jahre wurde er zum oppositionellen Dissidenten. Es begann eine präzedenzlose, bis 1974 andauernde offene Konfrontation zwischen Solschenizyn und den Machthabern, die er in dem autobiografischen Buch „Die Eiche und das Kalb“ (Bodalsja telënok z dubom) beschrieben hat.

Bereits 1963 und 1964 zirkulierten im Samisdat kleinere Arbeiten Solschenizyns, die in den 50er Jahren entstanden waren. Diese waren „Nemow und das Flittchen“ (Olen‘ i šalašovka), ein Stück über das Häftlingsleben, das am Moskauer Sovremennik-Theater einstudiert, dann aber von der Zensur gestoppt wurde, das Drehbuch zu „Die Panzer kennen die Wahrheit“ (Znajut istinu tanki) über den Lageraufstand 1954 im kasachischen Schesqasghan und die ebenfalls von der Zensur verbotenen Prosaminiaturen „Minigeschichten“ (Krochotnye rasskazy). Letztere waren seine ersten in der UdSSR verbotenen Texte, die im Westen erschienen (in „Grani“ Nr. 56/1964).

1967 lagen zwei umfangreiche Romane Solschenizyns druckfertig vor: „Im ersten Kreis“ (V kruge pervom) ist ein breites Panorama des sowjetischen Lebens der späten 40er Jahre. Es spannt den Bogen von einem Lager für Wissenschaftler, das mit dem vergleichbar ist, in dem Solschenizyn von 1947 bis 1950 inhaftiert war, bis hin zur Vorstadtresidenz Stalins. Die Arbeit an dem Roman, der anfangs den Titel „Scharaschka“ trug, begann Solschenizyn noch in der Verbannung in Kasachstan und führte sie später in Rjasan fort. Nach eigener Auskunft hatte er Kapitel und Handlungsstränge, die Einwände der Zensurbehörde hätten wecken können, bei der Vorbereitung des Manuskripts für den Druck entfernt oder angepasst. Ungeachtet dessen erhielt der Roman keine Druckzulassung. Der zweite Roman mit dem Titel „Krebsstation“ (Rakovyj Korpus), in dem Solschenizyn ebenfalls persönliche Erfahrungen verarbeitet hatte, stellte den Versuch dar, die in der russischen Literatur oftmals aufgegriffenen „ewigen Fragen“ über den Sinn des Lebens, den Tod und das Wesen der menschlichen Existenz durch die Darstellung von Patienten und Ärzten einer onkologischen Abteilung in einem Provinzkrankenhaus neu zu stellen. Gleichzeitig war die Romanhandlung eine komplexe Metapher für ein Land, das die Epoche des Massenterrors hinter sich gelassen hatte, aber noch von Gewalt, Heuchelei und Lüge gezeichnet war. „Krebsstation“ entstand im Auftrag der Zeitschrift „Novyj Mir“, in der sein Erscheinen angekündigt wurde. Doch trotz beharrlicher Bemühungen der Redaktion scheiterte die Veröffentlichung an der Zensur.

Alexander Daniel, Dmitrij Subarew, Nikolai Mitrochin
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 03/16