Psychiater, Mitglied der Goma-Bewegung, Initiator einer internationalen Kampagne gegen die Psychiatrie als Repressionsmittel in totalitären Staaten.

Ion Vianu wurde 1934 in Bukarest geboren, wo er auch Medizin studierte. Nach seiner Promotion übernahm er die Leitung einer Forschungsabteilung an der psychiatrischen Klinik der Medizinischen Fakultät der Universität Bukarest. Im November 1976 publizierte er in der Zeitschrift „Viața Românească“ (Rumänisches Leben) den Aufsatz „Psychiatrie, Antipsychiatrie, Hyperpsychiatrie“. In diesem Text wurden zum ersten Mal in Rumänien Fragen des Missbrauchs der Psychiatrie thematisiert – durchaus mit Verweisen auf die Situation in der UdSSR und in Rumänien. Obgleich Vianu aufgrund der Zensur bestimmte Dinge nicht direkt aussprechen konnte, wurde sein Text zu einem wichtigen Beitrag in der Diskussion über die Psychiatrie als Repressionsinstrument.

1977 fand Vianu Anschluss an die Dissidenten der sogenannten Goma-Bewegung. Im gleichen Zeitraum ging er an die Öffentlichkeit, der er – jetzt schon ganz offen und detailliert – Fakten über den Missbrauch der Psychiatrie als Mittel zur politischen Repression in Rumänien präsentierte. Diese Aktivitäten hatten Verhöre und seinen Ausschluss aus der Medizinischen Fakultät zur Folge. Im Juli 1977 verließ er Rumänien und ließ sich in der Schweiz nieder. Dort knüpfte er Kontakte zur Association Against the Political Use of Psychiatry, die sich später Geneva Initiative on Psychiatry nannte. Viele Jahre war er Mitglied des Exekutivkomitees dieser Organisation, 1992–95 deren Vorsitzender.

Gemeinsam mit der Geneva Initiative on Psychiatry startete er eine internationale Kampagne zur Unterstützung von Dissidenten, die in psychiatrischen Kliniken der Sowjetunion, Rumäniens und anderer totalitärer Staaten festgehalten wurden. In den 80er Jahren arbeitete er mit der im amerikanischen Philadelphia erscheinenden Zeitschrift „Agora“ zusammen, die er unter anderem dazu nutzte, die Öffentlichkeit über das Wirken der Pariser Liga für Menschenrechte zu informieren, deren Mitglied er war.

Nach 1990 arbeitete Vianu mit großem Engagement daran, die internationale Öffentlichkeit möglichst umfassend über die verbrecherischen Methoden aufzuklären, deren sich die Psychiatrie in kommunistisch regierten Ländern bedient hatte. Er rief auch die demokratischen Kräfte in der rumänischen Ärzteschaft dazu auf, dieses Kapitel gründlich aufzuarbeiten. Obwohl unstrittige Beweise vorliegen und trotz zahlreicher Zeugenaussagen sowohl von Opfern dieser Praktiken als auch von daran beteiligten Ärzten, wurde das Problem der Psychiatrie als Repressionsmittel auch nach 1989 kaum umfassend thematisiert.

Für demokratische Werte einzutreten, heißt für Ion Vianu auch, die Rechte Homosexueller sowie von Sinti und Roma zu verteidigen und sich gegen den Antisemitismus zur Wehr zu setzen. Bis heute ist er auch als Schriftsteller tätig. In seinen zahlreichen Romanen setzt er sich unter verschiedenen Aspekten auch autobiografisch mit der kommunistischen Diktatur in Rumänien auseinander.

Gabriel Andreescu
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 05/17