Aktivist der Nationalbewegung, Mitgründer der Gruppe zur Bekanntmachung des Hitler-Stalin-Pakts in der Öffentlichkeit; Autor und Verbreiter des Samisdat, politischer Häftling, Korrespondent von Radio Freies Europa; Pseudonym: „Silber Ronk“.

Tiit Madisson wurde 1950 in Tallinn (Reval) als Sohn eines Parteifunktionärs geboren. Sein Vater war II. Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Estlands und hatte die Aufsicht über die Miliz. Nach Verweis von der Höheren Schule absolvierte er das Abendgymnasium in Rakvere im Norden Estlands. In den 70er Jahren arbeitete er als Fahrer und Bauarbeiter und war in Fischverarbeitungsbetrieben in Rakvere, Viljandi, Kuressaare und Pärnu (Pernau) beschäftigt.

Nach der Proklamation des Baltischen Appells im August 1979 gründete Madisson zusammen mit einigen anderen Personen in Kuressaare eine politische Organisation unter dem Namen „Komitee zur Verbreitung des Baltischen Appells“. Die Mitglieder der Gruppe unterzeichneten und verbreiteten den in der „Stimme Amerikas“ gesendeten Text des Appells.

Anfang 1980 knüpfte Madisson zu Aktivisten der Widerstandsbewegung Mart-Olav Niklus, Jüri Kukk, Enn Tarto, Lagle Parek und Viktor Niitsoo Kontakte. Er sammelte Informationen für das Untergrundbulletin „Lisandusi mõtete ja uudiste vabale levikule Eestis“ (Beitrag zum freien Ideen- und Informationsaustausch in Estland) und kümmerte sich um dessen Verbreitung. Er verfasste die Petition gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan vom 17. Januar 1989, Briefe zur Verteidigung von Jüri Kukk am 2. April 1980 sowie zusammen mit Janus Kuldkepp erneut am 9. Mai, sowie zur Verteidigung von Mart-Olav Niklus im Mai 1980.

Unter dem Einfluss der Anerkennung der Solidarność in Polen im August 1980 versuchte er, in Pärnu eine freie Gewerkschaft zu organisieren, woraufhin er am 20. Oktober 1980 zusammen mit Veljo Kalep verhaftet wurde. Am 14. Mai 1981 verurteilte ihn das Oberste Gericht der Estnischen SSR nach Artikel 68, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der ESSR (siehe Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie zu zwei Jahren Verbannung.

Seine Strafe musste er in den Permer Lagern verbüßen. Dort beteiligte er sich an Widerstandsaktionen von politischen Häftlingen und unterschrieb gemeinschaftliche Protestbriefe. Am 23. August 1981 schickte er zusammen mit Viktor Niitsoo eine Erklärung zur Unterstützung des Baltischen Appells an die Sowjetregierung. Dies hatte zur Folge, dass er mehrfach in eine Strafzelle verlegt wurde. Zudem wurde ihm verboten, seine Angehörigen zu sehen, Pakete zu empfangen und Lebensmittel zu kaufen. Von November 1984 bis Juni 1986 befand er sich im Dorf Syrjanka in der Jakutischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik in Verbannung.

Nach seiner Freilassung lebte er in Pärnu und betätigte sich weiter in der estnischen Nationalbewegung. Im April 1987 wurde er zum Vorsitzenden der Estnischen Gesellschaft für Denkmalschutz des Bezirks Pärnu gewählt. Er war Mitgründer der Gruppe zur Bekanntmachung des Hitler-Stalin-Pakts in der Öffentlichkeit und Herausgeber der ersten Nummer ihres Informationsbulletins. Gemeinsam mit anderen organisierte er am 23. August 1987 die Kundgebung im Hirve-Park. Er unterhielt enge Kontakte zur litauischen katholischen Bewegung und zu lettischen Dissidenten in Riga. 1987–90 lebte er in Schweden und arbeitete für Radio Freies Europa. 1990 kehrte er nach Estland zurück und betätigte sich erneut politisch. Zeitweilig saß er wegen Amtsmissbrauch und Vorbereitung eines Militärputsches im Gefängnis. 2010–16 lebte er in Schweden.

Tiit Madisson starb am 21. Juni 2021.

Im September 1987 emigrierte er nach Schweden, wo er journalistisch tätig war. 1988–90 war er Korrespondent von Radio Freies Europa und gab westlichen Medien Dutzende Interviews zur Situation in Estland. Er wurde Vizevorsitzender des Stockholmer Hilfszentrums für Estnische Politische Häftlinge und estnischer Vertreter in der Pariser Organisation „Demokratie und Unabhängigkeit“.

1988–93 war er Mitglied der Estnischen Nationalen Partei der Unabhängigkeit. Er leitete ihre Strukturen in Schweden, und man wählte ihn mehrmals in die Parteiführung. Außerdem war er Redakteur der zentralen Parteizeitung „Võitleja“ (Kämpfer).

Im Februar 1990 kehrte Madisson nach Estland zurück. Er wurde in den Kongress Estlands entsandt und war 1990–92 Mitglied des Estnischen Komitees. Außerdem stand er der Kommission zur Liquidierung des KGB beim Estnischen Komitee vor und gehörte der Kommission zur Bekämpfung von Korruption an. 1992–93 war er im Innenministerium als Berater tätig. Danach wechselte er in die Wirtschaft.

Im März 1994 gründete er den Zentralverband der Estnischen Nationalisten, dessen Programm die Ideologie der Vorkriegsbewegung des „Estnischen Bundes der Freiheitskämpfer“ (Eesti Vabadussõjalaste Liit, EVL) aufgriff. Diese rechtsradikale Bewegung hatte sich in der Zwischenkriegszeit für einen Führerstaat und gegen die parlamentarische Demokratie eingesetzt. Bei den Wahlen im März 1995 gelang es den Estnischen Nationalisten aber nicht, in das Parlament einzuziehen. Im Mai 1996 wurde Madisson unter dem Vorwurf eines Staatsstreichversuchs verhaftet und wegen Staatsverrats zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Am 14. November 1997 wurde er kraft eines Parlamentsdekrets vorzeitig entlassen.

Madisson versuchte, im März 1999 in die Politik zurückzukehren, und bewarb sich um ein Abgeordnetenmandat,doch sein Versuch blieb erfolglos. Er veröffentlichte das Buch „Vastasseis“ (Widerstand) und seine Erinnerungen „Riigipööraja märrkmik“ (Notizen eines Verschwörers). Seit 2010 lebt er mit seiner Frau in Spanien.

Viktor Niitsoo
Aus dem Polnischen von Beata Kosmala
Letzte Aktualisierung: 05/23