Wolf Biermann war der Künstler, der der DDR-Opposition ab den 60er Jahren eine eigene, unverwechselbare Stimme gab. Als politischer Denker war und ist Wolf Biermann umstritten und streitbar. Er fordert zur Parteinahme heraus, wie sonst kaum jemand.

Wolf Biermann wurde am 15. November 1936 in Hamburg in eine kommunistische Familie geboren. Sein Vater war im antinationalsozialistischen Widerstand aktiv und wurde 1943 als  Kommunist und Jude in Auschwitz ermordet. Kurz vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, jedoch bereits nach Stalins Tod im März 1953, siedelte Wolf Biermann in die DDR über. Das Abitur legte er 1955 in der Internatsschule Gadebusch ab, anschließend nahm er ein Studium der Politischen Ökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin auf, das er 1957 abbrach, um bis 1959 als Regieassistent am Berliner Ensemble zu arbeiten, wo Biermanns großes Vorbild Bertolt Brecht bis zu seinem Tod 1956 gewirkt hatte. 1959–63 studierte er Philosophie und Mathematik/Physik wieder an der Berliner Humboldt-Universität. Gleichzeitig begann er erste Lieder und Gedichte zu schreiben. Zu seinen Vorbildern zählten neben Bertolt Brecht auch François Villon und Heinrich Heine.

1960 lernte Biermann Hanns Eisler kennen, der ihn förderte. In dieser Zeit „erfand“ Biermann in Anlehnung an das Wort „Stückeschreiber“ den Begriff „Liedermacher“. 1961 wurde er zwar Kandidat der SED, doch nahm ihn diese nach Ablauf der Kandidatenzeit 1963 wegen politischer Differenzen nicht als Mitglied auf. Auch sein Hochschuldiplom bekam er nicht ausgehändigt. 1961–63 baute er das Berliner Arbeiter- und Studententheater (b.a.t.) auf, das noch vor der Eröffnung verboten wurde. Seine Gedichte, die er 1962 an der Akademie der Künste auf Anregung Stephan Hermlins und 1963 in einem Kulturhaus vortrug, wurden als „lebensfremd“ und „nach innen gerichtet“ parteiamtlich abgelehnt. Ab 1963 arbeitete Biermann freischaffend, wobei von Anfang an Auftrittsverbote seine Entwicklung behinderten, wenn auch nicht verhindern konnten. Im März 1964 gab er während der öffentlichen Auseinandersetzungen um seinen Freund Robert Havemann ein Konzert im Philosophenclub der Ost-Berliner Universität, im selben Jahr trat er mit Wolfgang Neuss in West-Berlin auf (seine erste Schallplatte erschien 1965 als Mitschnitt dieses Konzerts), anschließend auch in anderen westlichen Ländern.

Im Dezember 1965 griff die SED Biermann nach Erscheinen seines ersten Gedichtbandes „Die Drahtharfe“ in West-Berlin zusammen mit anderen Künstlern erneut an. Auf dem 11. („Kahlschlag-“)Plenum des Zentralkomitees (ZK) im Dezember 1965 wurde er von Walter Ulbricht kritisiert und beschimpft („Wir haben [...] keine Freiheit für Verrückte“). Trotz westlicher Proteste verhängte die SED-Führung ein generelles Auftritts- und Publikationsverbot, das bis zu seiner Ausbürgerung 1976 galt.

1965 begannen Biermanns Jahre der staatlich erzwungenen Isolation in der Ost-Berliner Chausseestraße 131. Im Westen konnte er jedoch mehrere Bücher und Schallplatten mit seinen Liedern veröffentlichen, im westlichen Fernsehen und Rundfunk auftreten, zahlreiche Interviews geben. In 26 Anthologien wurden seine Gedichte abgedruckt, die Veröffentlichungen einzelner Lieder und Gedichte sind kaum zu zählen, genauso die Beiträge über ihn in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Bis 1976 entstanden etwa dreißig Fernsehsendungen über ihn. Ab 1969 wurde Biermann mehrfach mit Preisen ausgezeichnet (Fontane-, Jacques-Offenbach-, Deutscher-Schallplatten-Preis). In München wurde sein Stück „Der Dra-Dra“ im April 1971 uraufgeführt.

In der DDR wurde Biermann – abgesehen von gelegentlichen Ausfällen der SED-Führung (Kurt Hager, Erich Honecker, Horst Sindermann, Paul Verner und andere) gegen ihn – als Künstler totgeschwiegen. Zeitgleich war er mit vielen kritischen Intellektuellen befreundet oder bekannt und hat im Land eine unüberschaubare Zahl von Anhängern, die seine Gedichte in Abschriften, seine Lieder in Tonbandkopien lieben und verbreiten. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verfolgte ihn seit 1965 zunächst im Operativen Vorgang (OV) „Lyriker“, später in einem sogenannten Zentralen OV. Bis zum Ende der DDR wuchs das MfS-Material gegen ihn auf rund 100 Bände mit etwa 40.000 Seiten an. Nur gegen Robert Havemann, Biermanns engstem Freund, sammelte die Geheimpolizei noch mehr Material.

Biermann verstand sich bei aller Kritik an der SED und der verspießerten DDR-Gesellschaft als Marxist und Kommunist, als Antifaschist, Antimilitarist und Gegner des Kapitalismus, worin auch die Freundschaft mit Robert Havemann begründet lag. Später fühlte er sich dem Eurokommunismus verbunden. Dieses politische Bekenntnis für eine bessere und solidarischere Welt verband er mit unbändiger Lebenslust, Sinnlichkeit, Freiheits- und Menschenliebe.

Ab 1973 versuchte die SED-Führung, den unbequemen Sänger und Kritiker loszuwerden (ursprünglich war seine Ausbürgerung anlässlich einer Besuchsreise nach Hamburg für 1974 geplant). Trotz Auftrittsverbots gab Biermann im Herbst 1976 in Prenzlau in einer Kirche ein Konzert – sein letzter Auftritt in der DDR. Auf Einladung der westdeutschen Industriegewerkschaft Metall gab er am 13. November 1976 in Köln vor 7.000 Zuschauern ein Konzert, das live vom WDR (und drei Tage später in voller Länge in der ARD) übertragen wurde. Drei Tage darauf verkündete das SED-Politbüro die schon länger geplante Ausbürgerung, was ungeahnte weitreichende Folgen nach sich ziehen sollte.

Nach dem Protest von anfänglich 13 bekannten DDR-Künstlern setzte eine große Solidaritätsbewegung für Biermann ein sowie gleichzeitig eine staatlich organisierte Gegenbewegung. Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach, Christian Kunert und viele andere kamen in Haft, gegen Robert Havemann wurde ein achtzehnmonatiger Hausarrest verhängt und Verfahren gegen mehrere Schriftsteller eingeleitet. Damit setzte eine scharfe Polarisierung unter den DDR-Schriftstellern ein und der Exodus bedeutender Autoren und Künstler begann.

Für Biermann selbst begann mit seiner Ausbürgerung eine Zeit der Krisen. Er wurde von einem vom MfS gesteuerten Manager bei seinen Kontakten und Auftritten beraten (und an die Staatssicherheit verraten, die ihn auch im Westen observierte) und erhielt von rechten Kreisen Schmähbriefe und Drohungen. In einem neuen politischen Kräftefeld musste er seine Identität überdenken. Er verstand sich weiterhin als Sozialist, wurde ein scharfer Kritiker der westlichen Gesellschaft, war in den Medien präsent, produzierte in schneller Folge Schallplatten und gab im In- und Ausland Konzerte. Im Hamburger Exil entwickelte sich Biermann – vergleichbar mit Heinrich Heine im Pariser Exil – von einem politischen Liedermacher zum Dichter und Essayisten. Wenige Tage vor dem Tod Robert Havemanns 1982 gestattete die SED-Führung Biermann, seinen väterlichen Freund in Grünheide bei Berlin streng abgeschirmt zu besuchen.

Während der Friedlichen Revolution 1989 trat Biermann wieder in der DDR auf: Zwar konnte Staats- und Parteichef Egon Krenz seinen Auftritt auf der Großkundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz noch verhindern, aber am 1. Dezember gab er bereits in Leipzig vor 4.000 begeisterten Besuchern ein auch im DDR-Fernsehen übertragenes Konzert. Seither ist Biermann ein kritischer Begleiter des Vereinigungsprozesses. Öffentlich schwörte er vom Kommunismus jeglicher Spielart ab und erklärte auf seine ihm typische Art, warum er sich so lange geirrt hatte, aber trotzdem Recht behielt.

Anfang September 1990 unterstützte er die Protestaktion von Bürgerrechtlern, die die Zentrale der Staatssicherheit in Berlin besetzt hatten, enttarnte den Stasispitzel Sascha Anderson („Sascha Arschloch“) und äußerte sich wiederholt zur MfS-Problematik. Gemeinsam mit früheren Bürgerrechtlern wie Bärbel Bohley, Ehrhart Neubert, Ralf Hirsch, Jürgen Fuchs, Katja Havemann, Wolfgang Templin, Konrad Weiß, Arnold Vaatz und Freya Klier sowie mit prominenten Bundespolitikern aus allen demokratischen Parteien gründete Biermann am 17. Juni 1996 das zur Aufarbeitung von SED-Unrecht gegründete „Bürgerbüro“ in Berlin. Neben seinem Engagement für die Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen tritt Wolf Biermann nach wie vor regelmäßig mit politischen Essays und Stellungnahmen an die Öffentlichkeit, die nicht minder polarisieren und zur Meinungsbildung anregen sollen. Im Zentrum des Schaffens des zehnfachen Vaters steht aber nach wie vor sein künstlerisches Werk, das mittlerweile über zwei Dutzend Schallplatten sowie mehrere Gedichtbände, Aufsatz- und Essaysammlungen umfasst. In den letzten Jahren hat sich Biermann vermehrt der Verbreitung jüdischer Selbstzeugnisse und künstlerischer Werke zugewandt, in denen es um die Verarbeitung der Shoa geht. 2016 erschien seine hochgelobte und vielbeachtete, eindrucksvolle Autobiographie „Warte nicht auf bessere Zeiten“.

Weiterführende Informationen sind auf der Webseite der Bundesstiftung Aufarbeitung im Online-Dossier Die Biermann-Ausbürgerung zusammengetragen.

Guntolf Herzberg, Ilko-Sascha Kowalczuk
Letzte Aktualisierung: 10/18