Mitinitiator des „Eisenberger Kreises“, einer der größten Widerstandsgruppen in der DDR-Geschichte. Das Grundanliegen, konspirativ gegen die Diktatur und für eine demokratische Gesellschaft zu kämpfen, war bewusst dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus entlehnt. Thomas Ammer hat als einer der Köpfe der Gruppe von vornherein ausdrücklich in Kauf genommen, dass er bei einer Aufdeckung unbarmherzig verfolgt und bestraft werden und ihm sogar die Todesstrafe drohen würde. Er hat sich davon nicht einschüchtern lassen.

1937 wurde Thomas Ammer im thüringischen Eisenberg geboren. Seine Eltern unterhielten einen Handwerksbetrieb zur Herstellung historischer Tasteninstrumente. Ammers Vater, der aus gesundheitlichen Gründen nur einige Monate am Zweiten Weltkrieg als Soldat teilnehmen musste, unterhielt während der nationalsozialistischen Diktatur Kontakte zu illegalen KPD-Zellen und beteiligte sich 1943–45 selbst an deren Aktivitäten. Nach Kriegsende trat er in die KPD ein, starb aber bereits im Januar 1946.

Schon während seiner Schulzeit erfuhr Thomas Ammer erste Konfrontationen mit dem SED-Regime. Zwischen Sommer 1952 und Frühjahr 1953 entfesselte die SED eine Kampagne gegen die Jungen Gemeinden der evangelischen Kirche. Deren Mitglieder wurden in Schulen und Universitäten drangsaliert und in Tausenden Fällen relegiert. Als FDJ-Sekretär versuchte Ammer vergeblich, die in seiner Klasse deshalb in Bedrängnis geratenen Mitschüler zu verteidigen. Der prinzipielle Respekt, den Ammer der DDR zunächst aus einer antifaschistischen Gesinnung heraus entgegenbrachte, zerbrach durch diese Erfahrungen sowie durch das prägende Erlebnis des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Zwar gab es in Eisenberg selbst nur eine friedlich verlaufene Demonstration von einigen hundert Personen, aber die Nachrichten und Diskussionen über die landesweiten Proteste schärften Ammers kritischen Blick.

Während dieser Zeit bildeten sich erste lockere Diskussionskreise an der Oberschule heraus. Im Herbst 1953 begann sich ein Kreis zu konstituieren, der später als „Eisenberger Kreis“ in die Widerstandsgeschichte der DDR einging. Thomas Ammer zählte neben Reinhard Spalke und Johann Frömel zu den Initiatoren dieses Kreises. Später stieß der Mathematikstudent Peter Herrmann mit einer eigenen Widerstandsgruppe dazu. Anfangs gehörten etwa ein Dutzend Personen zu dieser Gruppe, die sich aus Schülern, Studenten, Lehrlingen und jungen Arbeitern zusammensetzte. Politisch war der Kreis in sich heterogen. Neben sozialdemokratischen Positionen waren ebenso christliche, konservative und auch marxistische vertreten.

Im Gegensatz zu anderen Widerstandsgruppen existierten keine festen hierarchischen Strukturen, kein Vorstand und keine Vollversammlungen. Vielmehr verlegte man sich auf streng konspirative Arbeitszusammenhänge. In Anlehnung an das illegale Zellensystem im Widerstand gegen das NS-Regime kannte nicht jeder jeden, sodass sich bei Treffen nie mehr als vier oder fünf Personen sahen. Ammer gehörte von Anfang an zu der kleinen informellen Führungsgruppe, die als einzige über die Größe der Gruppe und die einzelnen Mitglieder Bescheid wusste. Nach außen hin versuchten die Mitglieder, nicht aufzufallen und nach Möglichkeit angepasst zu erscheinen. So war Ammer auch nach der Aufnahme seines Medizinstudiums 1955 (er hatte im selben Jahr das Abitur abgelegt) an der Universität Jena FDJ-Funktionär.

Erst im Laufe der Zeit kristallisierten sich programmatische Überlegungen und widerständige Handlungen heraus. Die Gruppe forderte freie Wahlen, den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen, die Freilassung der politischen Gefangenen, Pressefreiheit, die Zulassung von Oppositionsparteien und die Beendigung politischer Prozesse. Hinzu kamen Debatten über die Eigentumsformen in der Wirtschaft oder über die Wirksamkeit von Arbeiterräten. Zu den konkreten Aktionsformen zählten unter anderem das Verteilen von Flugblättern und Aufrufen, das Anbringen von politischen Losungen an Häuserwänden oder Güterwaggons (1956 „Freiheit für Polen“), das Abreißen von Transparenten, ein Brandanschlag auf einen Schießstand der offiziellen paramilitärischen Jugendorganisation „Gesellschaft für Sport und Technik“ im Januar 1956 oder die Umbenennung eines Fahrgastschiffes von „Stalin“ in „Bayern“. Durch die strikte konspirative Arbeit der Gruppe und die erheblichen finanziellen Engpässe – der Kreis hatte nur sporadisch Kontakt zu westdeutschen Informationsstellen – waren den Aktionsfeldern allerdings enge Grenzen gesetzt. Immer wieder sind geplante Unternehmungen, die zum Teil in der Vorbereitung bereits weit gediehen waren, abgesagt worden, um die Gruppe oder einzelne Mitglieder nicht zu gefährden. Die 1956/57 an zahlreichen Universitäten der DDR – so auch in Jena – erstarkte studentische Opposition gegen das Regime ist zwar vom „Eisenberger Kreis“ (der Name wurde erst nachträglich zur Bezeichnung der Gruppe verwendet) begrüßt und von einzelnen Mitgliedern beeinflusst worden, aber an den Vorgängen selbst war er aus den erwähnten konspirativen Gründen nicht beteiligt. Thomas Ammer zum Beispiel hat heimlich als Mitglied der FDJ-Hochschulleitung Protokolle ihrer Sitzungen angefertigt, um sie bei Bedarf in den Westen zu schmuggeln und dort zu veröffentlichen. So protokollierte er die Feststellung des damaligen SED-Parteisekretärs der Universität und späteren einflussreichen Historikers und Faschismusforschers Kurt Pätzold, der immer wieder bis zum Ende der DDR an politischen Verfolgungen von Studenten aktiv beteiligt war, dass von den 6.000 Studenten in Jena 1956/57 höchstens 150 hinter der SED stünden.

Durch Verrat eines Gruppenmitglieds flog die Gruppe Anfang 1958 auf. Am 13. Februar 1958 wurde Thomas Ammer als Kopf des Kreises von der Staatssicherheit verhaftet. Bis April wurden insgesamt 24 junge Männer vom Staatssicherheitsdienst als Mitglieder des „Eisenberger Kreises“ festgenommen, fünf konnten sich der drohenden Verhaftung durch Flucht in den Westen entziehen. Insgesamt wurden im September und Oktober 1958 vom Bezirksgericht Gera 24 Urteile mit einem Gesamtstrafmaß von 114 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verhängt. Thomas Ammer erhielt am 27. September 1958 mit 15 Jahren Zuchthaus wegen „Staatsverrats“ von allen Angeklagten die höchste Strafe.

Thomas Ammer war, nachdem er bis zur Urteilsverkündung im MfS-Untersuchungsgefängnis Gera gesessen hatte, zunächst einige Wochen im berüchtigten Zuchthaus Waldheim und dann von November 1958 bis August 1964 im Zuchthaus Brandenburg-Görden. Die letzte Woche seiner mehr als sechsjährigen Haftzeit verbrachte er im Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Lichtenberg. Am 14. August 1964 wurde er in die Bundesrepublik entlassen.

Seine vorzeitige Haftentlassung war dem Bemühen der Bundesregierung seit 1963 zu verdanken, politische Häftlinge freizukaufen. Er gehörte zu den ersten „freigekauften“ Gefangenen überhaupt. Insgesamt kamen von den schätzungsweise etwa 250.000 politisch Verurteilten 32.000 politische Gefangene aus den Gefängnissen und Zuchthäusern der DDR in den Westen. Die DDR konnte auf dem Weg des „modernen Menschenhandels“ ihr Valuta-Aufkommen um 3,4 Milliarden D-Mark aufbessern.

Nach seiner Freilassung studierte Thomas Ammer Politische Wissenschaften, Jura und Geschichte in Tübingen, Bonn sowie Erlangen. Anschließend war er unter anderem Redakteur bei einer in der Schweiz herausgegebenen landeskundlichen Zeitschrift für Zeitgeschichte, Staat und Gesellschaft sowie Mitarbeiter am Institut für Gesellschaft und Wissenschaft in Erlangen. Ammer, der von 1968 bis 1982 der SPD angehörte, ist auch nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR verfolgt und beobachtet worden. In die DDR reiste er erst wieder nach dem Fall der Mauer ein. Die Staatssicherheit hatte über ihn eine unbefristete Einreisesperre verhängt. Dies hing auch damit zusammen, dass er sich wissenschaftlich, publizistisch und politisch weiterhin mit der DDR auseinandersetzte.

1975 trat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Gesamtdeutsche Institut Bonn ein, wo er bis zu dessen Auflösung 1991 tätig blieb. Von 1991 bis zu seiner Pensionierung 2002 war er Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung, wobei er zwischenzeitlich zweimal als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die Sekretariate der Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages „Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (1992–94) und „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ (1995–98) abgeordnet war.

Auch wenn die Erfolge des „Eisenberger Kreises“ naturgemäß bescheiden bleiben mussten, setzten die Gruppe und Thomas Ammer persönlich mit ihrem Aufbegehren wichtige Zeichen gegen die Diktatur. Erst sehr spät, im Jahre 1998, wurde Thomas Ammer für seinen Kampf für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Thomas Ammer ist auch auf dem Zeitzeugenportal der Bundesstiftung Aufarbeitung vertreten.

Ilko-Sascha Kowalczuk
Letzte Aktualisierung: 08/16