Geschichte der bulgarischen Opposition
Im Unterschied zu Ländern wie der Tschechoslowakei, Polen oder Ungarn zeigte sich im Bulgarien der 50er und 60er Jahre kein organisierter Widerstand gegen das dem Lande aufgezwungene kommunistische System. Es gab hier keine großen Arbeiterstreiks, keine großen Protestkundgebungen. Im Unterschied zur Sowjetunion entstanden in den 70er und 80er Jahren in Bulgarien auch kein Verbreitungssystem für unabhängige Informationen und kein Samisdat-Vertriebsnetz. Ebenso wenig gab es ein System zum Schutz von Personen, die von der repressiven politischen Staatsmacht verfolgt wurden. Trotzdem ist Bulgarien nicht ausschließlich als erstarrtes Land des realexistierenden Sozialismus zu betrachten, in dem es keine zivilgesellschaftliche Identität gab oder angesichts fehlender Freiheiten und einer weit verbreiteten Untertänigkeit der Bevölkerung eine alles umfassende Resignation das Bild bestimmte.
Um solchen, letztlich ungerechten Stereotypen entgegenzuwirken, reicht der Blick auf einige wenige Fakten: Trotz etlicher Säuberungsaktionen finden sich in den Beständen der bulgarischen Staatssicherheitsdienste heute noch 450.000 Akten über damals verdächtige Bürger. Nach Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit hat es ursprünglich sogar rund 1,5 Millionen solcher Akten gegeben. Das bedeutet, dass die Staatsmacht ein im Verhältnis zur Größe des Landes überaus mächtiges System der Überwachung, der vorbeugenden Kontrolle und der unmittelbaren Einmischung in das Leben Hunderttausender von Familien geschaffen hatte. Wenn man bedenkt, dass die Einwohnerzahl Bulgariens während der sozialistischen Zeit bei rund acht Millionen lag, wird das Ausmaß der Überwachung der Gesellschaft deutlich.
Hinzu kam die teilweise extrem brutale Repression in Bulgarien: Es gab Dutzende von Zwangsarbeitslagern, in denen insbesondere in den ersten Jahren nach 1944 Hunderttausende Bulgaren festgehalten wurden. Ein Großteil von ihnen kam zu Tode. Zu erwähnen sind die Schauprozesse, die am unheilvollen „Volksgericht“ ihren Anfang nahmen, das für die Liquidierung eines großen Teils der politischen Elite aus der Vorkriegszeit verantwortlich war. Nicht vergessen werden dürfen auch die Akte des bewaffneten Widerstandes und der Sabotage. In 45 Jahren sozialistischer Herrschaft kam der Strom politischer Flüchtlinge nicht zum Erliegen. Die Emigranten, die unter Lebensgefahr ihre Heimat verließen, suchten Zuflucht in verschiedensten Ländern weltweit. Viele von ihnen wurden bei ihrem Fluchtversuch gefasst und für viele Jahre ins Gefängnis gesperrt. Auch wenn es der Staatsmacht gelang, einige von ihnen zu brechen, blieben die meisten ihr Leben lang als Dissidenten aktiv.
Verallgemeinernd kann die Lebenswirklichkeit im sozialistischen Bulgarien als mehrdimensionaler Konflikt zweier Kulturen begriffen werden: der Kultur einer stoischen Normalität einerseits und des hysterischen kommunistischen Pathos andererseits. Allein schon der Wille, an der Normalität, also an Traditionen, der Familie oder Glaubensgrundsätzen festzuhalten, war verdächtig und lenkte die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit auf die entsprechenden Personen. Diese fanden sich schnell in der Kategorie der „Abweichler“ oder „Andersdenkenden“ wieder.
Die politischen Ereignisse des Jahres 2001 zeigen, wie fest traditionelle Vorstellungen und Werte im kollektiven Bewusstsein der Bulgaren verankert sind. Der noch als Kind aus dem Land getriebene Zar Simeon II. war während der gesamten Nachkriegszeit nie in Vergessenheit geraten. Sein Mythos lebte weiter und führte dazu, dass die von ihm ins Leben gerufene politische Bewegung bei der Parlamentswahl im Juni 2001 die Hälfte aller Stimmen erzielte und der ehemalige Zar 2001–05 bulgarischer Regierungschef wurde.
Bis 1986/87 war an eine wie auch immer geartete Mobilisierung oder Institutionalisierung der bulgarischen Opposition nicht zu denken, hatten ihre Aktionsformen doch keinen wirklich öffentlichen Charakter. In der Regel bestanden diese aus Aktionen oder kleineren Happenings einzelner Dissidenten, von denen die meisten halb anonym abliefen und entweder in einem kleinen privaten Kreis oder in der tiefsten Provinz stattfanden. Die Staatssicherheit deckte solche Initiativen in der Regel schnell auf und brachte sie zum Schweigen.